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Dietrich Henschel als Walter Benjamin

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Intellektuellen-Revue: "Benjamin" an der Hamburger Oper

Nach "Celan" und "Hölderlin" hat der Dirigent, Intendant und Komponist Peter Ruzicka nun seine dritte Oper vorgelegt, ein Werk über den deutschen Philosophen und Kulturwissenschaftler Walter Benjamin. Von Dieter-David Scholz

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Walter Benjamin hat in seinem umfangreichen, vieltausendseitigen Oeuvre kaum je über Musik gesprochen. Und wenn, dann vor allem im Zusammenhang von Klage, Erinnerung und Erlösung. Eben da liegt der Berührungspunkt mit der Auffassung des Komponisten Peter Ruzicka, nach dessen Verständnis Musiktheater Geschichten erzählen soll, die betroffen machen. Walter Ben­jamin, dessen scharf analytischer Blick auf das Unzeitige, Leidvolle, Vergessene gerichtet war, auf Krieg, Antisemitismus und Utopien, ist wie kein Anderer prädestiniert, Mitleid und Betrof­fenheit auszulösen, weil er in seinem Werk den Finger an die Wunden deutscher Geschichte legte. 

Kindheit, Flucht, Exil

Auf der Flucht in die USA setzte Walter Benjamin seinem Leben 1940 selbst ein Ende. Ein tragisches Schicksal. Benjamin verkörpert beispielhaft deutsche, ja europäische Zeitgeschichte vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Eben das macht ihn für Peter Ruzicka - neben seinen scharfsichtigen Zeitanalysen - so interessant, dass er sich von der südkoreanischen Theaterwissenschaftlerin und Regisseurin Yona Kim ein siebenteiliges Statio­nen­drama hat schreiben lassen, das Schlaglichter wirft auf Benjamins Denken und sein Leben zwischen Berliner Kindheit, Flucht und Pariser Exil.

Schach mit Bertolt Brecht

Man erlebt ihn im Gespräch mit Hannah Arendt und Gershom Sholem, er spielt Schach mit Bert Brecht und liest aus seinem Hauptwerk dem sogenannten Passagenwerk. Immer wieder Diskussionen über Kommunismus und Kapitalis­mus, Wehrmachtsberichte und Kinderauftritte. Die Sozialistin Asja Lacis, jene Frau, die Benjamin zum historischen Materialismus zu bewegen versuchte, arrangiert proletarisches Kindertheater. Eine irrlichternde, filmschnitthafte Szenenfolge, die eine musiktheatralische Metapher für den Zustand der Welt vor dem Ausbruch des Zweien Weltkriegs sein soll, mit biographischen wie gedanklichen Brandspuren Walter Benjamins.

Erinnerung an Puccini

Yona Kim inszeniert Ruzickas dritte Oper, nach "Celan" und "Hölderlin" als groteske, episch verfremdete Benjamin-Revue im Einheitsbühnenbild von Heike Scheele, einem halbzerstörten großbürgerlichen Villensaal, der sich auf der Hinterbühne zur verspiegelten Choristentribüne öffnen lässt. Peter Ruzicka zitiert in seiner neusten Oper Musik aus seinem Opernerstling "Celan", aber er zitiert auch ein markantes Motiv aus Orffs "Carnina Burana, Kinderlieder werden gesung­en. Manches klingt wie Mahler oder Schostakowitsch. Weitgehend herrscht Sprechgesang vor, es gibt aber auch schöne solistische Vokalisen, manche Chorpassagen klingen beinahe wie aus Puccinis "Turandot", dann wieder überraschen harte, modernere Töne.

Eher nostalgisch als neu

Die Oper ist auch musi­kalisch eine Art rückblickende Revue voller disparater, klangsinnlicher, aber eher nostalgischer als neuer Musik, man könnte auch sagen eine musikalische Suche nach der verlorenen Zeit, festgemacht an einer der faszinierendsten, irritierendsten, ja verstörensten Gestalten der deutschen Geistesgeschichte in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Vom Pult der des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg aus hält der dirigierende Komponist die Fäden der eineinhalbstündigen Aufführung fest in der Hand. Chor, Orchester und Sänger, darunter Dietrich Henschel in der Titelpartie und Andreas Conrad als Bert Brecht und Lini Gong als Asja Lacis taten ihr Bestes, um das Premierenpublikum gestern Abend zu begeistern.