Mann mit weißem Baseballcap und Sonnenbrille blickt geneigtem Kopf in die Kamera.
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Coole Socke: Trettmann legt großen Wert auf stylishen SchwarzWeiß-Look!

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"Insomnia": Abschieds-Album von Trettmann & Kitschkrieg

Als die Mauer fiel, reiste der Chemnitzer Stefan Richter nach Jamaika. Mit 40 Jahren startete er als Trettmann eine Karriere als Trap- und Dancehallkünstler. Mit seinem neuen Album "Insomnia" trennt er sich jetzt vom Kitschkrieg-Team.

"Der älteste Deutsche, dem die Generation tragbarer Bluetooth-Lautsprecher freiwillig zuhört" - Das schrieb das Rap-Magazin Juice Ende 2019 in ihrer Titelgeschichte über Trettmann – den Rapper, der in der DDR aufwuchs und mit Mitte 40 zum Teenie-Idol wurde. Mittlerweile ist dieser Rapper fast 50, und des Idol-Seins und der damit einhergehenden Exzesse müde. Folgerichtig ist "Insomnia" eine Art Abschluss. Abschluss mit der auf kreativer und kommerzieller Ebene außergewöhnlich erfolgreichen Zusammenarbeit mit dem Produktionsteam KitschKrieg, aber auch Abschluss mit einer für Trettmann persönlich schwierigen Zeit.

Trennungsalbum der besonderen Art

"Es war gut, doch hat nicht gereicht", rappt er über eine Beziehung, die während der letzten paar Jahre zu Ende ging. Im selben Zeitraum veränderten sich für Trettmann auch andere Dinge grundlegend: der späte Ruhm, die neue Erwartungshaltung eines neuen Publikums, die Geburt eines Kindes, und die Pandemie, die Tourneen und Nachtleben zwischenzeitlich unmöglich machten. Letzteres war für Trettmann auch mit Anfang und Mitte 40 noch essenzieller Bestandteil seiner Persönlichkeit und seiner Kunst: in Clubs fühlte er sich wohl, tanzte sich den Kopf frei, und sammelte Inspiration für elektronisch-emotionale Musik, für die er und das KitschKrieg-Team bekannt wurden.

Zwischen den Zeilen der Songtexte auf "Insomnia" und Trettmanns Aussagen in Interviews dringt durch, dass seine Nähe zum Nachtleben ihn von seiner Familie immer weiter entfernte. Im vergangenen Jahr verschob Trettmann die Veröffentlichung dieses Albums und sagte geplante Festivalauftritte mit Verweis auf seine Gesundheit ab. Diese Entwicklungen erinnern an Trettmanns Rapstar-Kollegen Haftbefehl und Sido, deren Midlife-Krisen zuletzt bei Social Media und in der Presse zu verfolgen waren. Trettmann vermittelt auf “Insomnia” den Eindruck, als habe er gelernt, mit seinen Fehlern zu leben.

Genug vom wilden Lifestyle?

Musikalisch knüpft "Insomnia" ziemlich nahtlos an die Klangwelten an, die Trettmann und KitschKrieg auf den Vorgängern "#DIY" und "Trettmann" aus dem Boden gestampft haben. Wolkige Synthesizer-Flächen, skelettartige Drumsounds, und mit Autotune-Effekten verfremdeter Gesang. Der kommt neben Trettmann selbst von ein paar Musikerinnen und Musikern, die auch Nicht-Rap-Fans kennen dürften. Die frühere ESC-Teilnehmerin Lena zum Beispiel, Rapperin und TikTok-Star Nina Chuba, und: Herbert Grönemeyer. Über dessen Gastauftritt hat sich Trettmann besonders gefreut, wie er im Interview mit PULS vom Bayerischen Rundfunk erzählt: "Es ging dem auch ein Gespräch voran, wo er ausgelotet hat, wer wir sind und was wir machen. Das ist natürlich krass. Das ist auf jeden Fall eine der Stimmen meiner Kindheit und Jugend, vor allem der 80er Jahre. Mit der wurde ich auch musikalisch sozialisiert."

Die vielen Feature-Auftritte auf “Insomnia” wurden im Vorfeld der Veröffentlichung heftig diskutiert. Und tatsächlich können nicht alle Gäste glänzen: Henning Mays röhrige Stimme klingt mit Autotune seltsam verzerrt, der charmante Newcomer Levin Liam wirkt neben dem routinierten Trettmann leider etwas blass. Trettmann und KitschKrieg haben die letzten fünf Jahre des Deutschrap und damit auch der deutschen Popmusik geprägt wie sonst kaum jemand - mit einer Musikalität und künstlerischen Stringenz, die nur im Kollektiv und mit einer gewissen Lebenserfahrung entstehen kann. "Insomnia" klingt, wie sich Abschiede oft anfühlen: ambivalent. Schmerzerfüllt, aufwühlend und doch auch zuversichtlich.

Insomnia - Trettmann & Kitschkrieg, erschienen bei Soulforce/BMG (Warner).

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