Bildrechte: Wilfried Hösl/Bayerische Staatsoper

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Insel der Wasserleichen: Verdis "Sizilianische Vesper"

1282 rebellierten die Sizilianer erfolgreich gegen die französischen Besatzer, angefeuert von der Erinnerung an die wohl gelittenen Stauferkaiser: Doch an der Bayerischen Staatsoper dreht sich alles um die Gegenwart. Nachtkritik von Peter Jungblut.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Angeblich war Sizilien ja niemals glücklicher als unter dem Stauferkaiser Friedrich II., jedenfalls ist das bis heute in Reiseführern zu lesen. Schmeichelhaft für das deutsch-italienische Adelsgeschlecht der Staufer und für den verehrten Multikulti-Kaiser "Federico Secondo", aber eben auch lange her, sehr lange sogar, genauer gesagt rund 750 Jahre. Danach kamen die damals verhassten Franzosen. Das kann aus dem Abstand der Jahre schon mal aus dem Blick geraten, wie auch der Aufstand vom Ostermontag, dem 30. März 1282, und Regisseur Antú Romero Nunes interessiert das alles anscheinend nicht die Bohne. Ihm geht es ganz offensichtlich um die sizilianische Gegenwart, und die wird bekanntlich von den Flüchtlingen geprägt, die Woche für Woche versuchen, übers Mittelmeer zu kommen.

Leichentuch unserer Zeit

Viele sterben, Nunes hält das völlig zu Recht für einen Menschenrechts-Skandal und ließ gestern Abend gleich zu Beginn der Premiere von Verdis selten gespielter "Sizilianischer Vesper" einen Statisten mit Schwimmweste auftreten, der sich ins Meer wirft, beeindruckend symbolisiert durch eine riesige, schwarze Plastikfolie, dem kargen Leichentuch unserer Zeit, denn in Säcken aus genau diesem Material werden die Ertrunkenen ja zunächst abtransportiert. Zwischendurch waren absaufende Unterwasser-Heilige zu sehen, jede Menge Totenköpfe, und am Ende lag ein Statist als Ertrunkener eine Viertelstunde an der Bühnenrampe: Sizilien, das ist deine Gegenwart, Europa, das ist dein Problem!

Kostüm wie eine lädierte Stehlampe

Ein Problem hatte aber auch Nunes, denn Verdis Geschichte von der Sizilianischen Vesper, vom Aufstand der stauferfreundlichen Sizilianer 1282 gegen die Franzosen, war ihm dermaßen gleichgültig, dass die dreieinhalbstündige Handlung sich bleischwer und museal dahinschleppte. Procida, der Arzt und Vertraute von Friedrich II., der den Aufstand tatsächlich anzettelte, sah in seinem Goldbrokat-Kostüm aus wie eine lädierte Stehlampe, die gegnerischen Franzosen in Uniformen der Revolutionszeit waren allesamt böse Clowns, die Sizilianer abgerissene Gestalten mit kahlen Schädeln. Durchweg Mumien ohne Leben und Gefühl. Alle standen vorzugsweise unbeschäftigt an der Rampe und hielten sich irgendwie wach.

Schlechtes Gewissen beim Publikum?

Das war wohl volle Absicht, wollte Nunes doch zeigen, wie irrelevant Verdis ferne Geschichte im Vergleich zur Not der Flüchtlinge ist. Doch das Gesamtergebnis war mehr als ärgerlich: Hilflos spulten die Sänger ihren historischen Part ab, emsig verwiesen die Statisten und die allzeit wabernde Plastikfolie, die Bühnenbildner Matthias Koch entworfen hatte, auf das Flüchtlingsdrama. Das eine hatte mit dem anderen leider rein gar nichts zu tun, und einige Zuschauer quittierten das am Ende auch hörbar mit Protestrufen. Der Großteil fühlte sich wohl beim schlechten Gewissen gepackt, zumal Nunes zum Schlussapplaus demonstrativ das Licht anschalten ließ, um dem Publikum ins Gesicht sehen zu können.

Bewundernswert kooperativer Dirigent

Vermutlich hatte er mehr Buhrufer erwartet, denn im vierten Akt hatte er sogar ein Ballett der Wasserleichen mit Techno-Musik und elektronischen Verfremdungseffekten eingefügt, überschrieben mit dem Titel "Jahreszeiten". Sollte wohl provokant sein, außer einem einsamen Pfeifer gab es aber keine hörbare Reaktion. Umso mehr zu loben ist Dirigent Omer Meir Wellber, der das alles mitmachte, das Techno-Ballett sogar mit Kopfhörer dirigierte. In Berlin hat ja gerade eben erst ein Dirigent hingeworfen, weil ein Sänger seiner Meinung nach im Bühnenbild ein paar Meter zu hoch postiert war - gemessen daran war Wellber geradezu vorbildlich kooperativ, was das Regiekonzept betrifft. Und aufgekratzt obendrein: Es schien, als wolle er alle Ballette persönlich mittanzen. Ein wunderbar emotionaler Maestro und ungewöhnlich neugieriger Verdi-Interpret, der gerade eben in Dresden an der Semperoper Erster Gastdirigent wurde.

Tenor musste aufgeben

Unter den Solisten wurden vor allem der uruguayanische Bassbariton Erwin Schrott als kühler Stratege Procida und der rumänische Bariton George Petean als französischer Burgherr Guy de Montfort gefeiert, der amerikanische Tenor Bryan Hymel musste im vierten Akt wegen Unpässlichkeit aufgeben und wurde eilends vom unerschrockenen Einspringer Leonardo Caimi ersetzt. Die US-Sopranistin Rachel Willis-Sorensen in der weiblichen Hauptrolle der Hélène schien sich weder stimmlich, noch schauspielerisch in ihrem Part wohl zu fühlen. Zweifellos ein Abend, der für Diskussionen sorgen wird - Friedrich II., der seinerzeit ein Freund der Moslems war und Sizilien zu einer ungewöhnlich toleranten Gegend machte, hätte dazu vermutlich einiges zu sagen gehabt. Vielleicht bekommt er beim Regisseur noch einen Termin.


Wieder am 15., 18., 22. und 25. März, sowie zwei weitere Termine im Juli.