Illustration von Sternzeichen
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Illustration von Sternzeichen

    Zukunft in den Sternen - Warum Astrologie in Krisenzeiten boomt

    Sie heißen Co-Star oder Capricorn_memes - Astrologie-Apps, Insta-Horoskope und analoge Sterndeuter erleben einen Boom. Was viele als Social-Media-Spielerei abtun, untersuchen auch Wissenschaftler - mit teilweise überraschenden Ergebnissen.

    Es sei keine gute Idee von Putin gewesen, den Ukraine-Krieg ausgerechnet am 24. Februar, also im Tierkreiszeichen Fische zu beginnen, sagt Alexander von Schlieffen in seinem Astro-Podcast. Die Fische-Zeit sei die Endphase, eine Zeit für Reflexion. Auch Putin selbst befinde sich in seiner persönlichen Fische-Zeit. Lieber, so der Künstler und Musiker sinngemäß, der seit den 1990er-Jahren als Astrologe arbeitet, hätte Putin die Zeit für eine persönliche Reflexion genutzt.

    Ob denn einen Krieg zu beginnen in irgendeinem anderen Tierkreiszeichen jemals gut sei, verrät von Schlieffen in seinem Podcast nicht. Was dieses Beispiel aber zeigt: Die Astrologie bedient hier eine Sehnsucht - die Sehnsucht nach einer einfachen Erklärung, warum der Krieg in der Ukraine nun schon mehr als ein Jahr dauert: Er wurde, so sieht es zumindest von Schlieffen, in der falschen Sternenkonstellation begonnen.

    Nabelschau statt Zukunftsvorhersage

    Dabei geht es in heutigen Horoskopen weniger um Zukunftsvorhersagen, sondern mehr um eine seelische Innenschau. Auf Instagram gibt es hunderte Accounts, die sich auf die jeweiligen Sternzeichen spezialisiert haben. Da rät dann Virgoholics, dass Jungfrauen-geborene sich im Februar Zeit für sich nehmen sollten und sich auf Ziele fokussieren sollen, die sie erreichen wollen. Capricorn_memes witzeln darüber, dass Steinböcke immer wieder versuchen, bunte Kleidung zu kaufen, dann aber doch die schwarze nehmen. Und die selbsternannte erste Stier-Community alias Taurussimply spielt mit dem Klischée der luxusliebenden Stierfrau, die sich nicht so leicht provozieren lässt, wenn aber doch, man sich vor ihr hüten sollte.

    Zehntausende folgen Astrologinnen wie Susan Miller, Stefanie Angerer oder Nina Pfau. Es ist ein Hype, der längst nicht mehr nur Illustrierten-Randspalten füllt, sondern auf Podcasts und Dating-Apps übergeschwappt ist. Auf Tinder findet sich neben Hobbies und Alter nun auch das Sternzeichen. Und auf Bumble kann man sich potentielle Dates nach Sternzeichen filtern lassen.

    Sehnsucht nach einfachen Antworten

    Krieg, Krisen, Inflation - mit Unsicherheiten in einer als immer komplexer wahrgenommenen Welt umzugehen zu lernen, ist eine der großen aktuellen Herausforderungen. Zwar sind Ungewissheit und Mehrdeutigkeit keine Erfindungen der Moderne. Doch heute erscheint die Welt "überwältigender und chaotischer als jemals zuvor", wie der amerikanische Autor und Verhaltensökonom Jamie Holmes in seinem Buch "Nonsense. The Power of Not Knowing" schreibt. "Die Herausforderung des heutigen Lebens besteht darin, herauszufinden, wie man sich verhält – im Job, in Beziehungen, im alltäglichen Leben –, wenn man keine Ahnung hat, was man tun soll."

    Viele Menschen - das zeigen psychologische Studien zur sogenannten Ambiguitätstoleranz - tendieren in solchen Stress-Situationen zu einfachen Antworten, rigiden Autoritäten, sehnen sich nach klaren und eindeutigen Verhältnissen. Schwarz-weiß statt Zwischentönen oder Graustufen.

    Sinkende religiöse Bindung hinterlässt Leerstelle

    "Die Zunahme des Interesses an Astrologie erfolgt zu Zeiten größerer gesellschaftlicher Instabilität", zitiert die "Vogue" die Religionsanthropologin Dr. Susannah Crockford von der Universität Gent in Belgien. Weil aber die Bindung an Kirchen und Religionsgemeinschaften schwinde, würden sich immer mehr Menschen alternativen Glaubenssystemen zuwenden.

    "Das Interesse an der Astrologie kommt in Wellen", sagt der Psychologe Andreas Hergovich dem österreichischen "Standard". Sie gebe die Illusion von Kontrolle – und in Zeiten der Unsicherheit sei dieses Kontrollbedürfnis besonders stark. Für die meisten Menschen aber sei das nur eine Phase. Die Sehnsucht nach Zukunftsvorhersagen, die vor gut 200 Jahren in Bayern noch der Mühlhiasl – eine Art bayerischer Nostradamus - stillte, füllen heute Astrologie-Apps und persönliche Horoskope.

    Astrologie-Boom als Folge von Trumps Post-Truth-Ära?

    Vom Deutschen Astrologen-Verband gibt es zwar Aussagen zum viel beschriebenen Astrologie-Boom. Valide Statistiken gibt es jedoch kaum: 2017 gaben hierzulande nur vier Prozent der Frauen und ein Prozent der Männer zu, Horoskopen voll und ganz zu vertrauen. Die Nutzerzahlen aus dem Netz aber zeigen ein anderes Bild. Mehr als 8 Millionen Menschen haben sich die Astro-App Co-Star heruntergeladen. Zwei Jahre nach dem Launch investierte der Konzern erneut 5 Millionen US-Dollar in die App – ein Zeichen dafür, wie groß der Markt dafür ist.

    Beobachter sehen darin auch eine Folge der mit der Wahl von Donald Trump eingeleiteten sogenannten Post-Truth-Ära. Bereits im Jahr 2018 gaben 37 Prozent der Frauen und 20 Prozent der Männer in den USA an, an Vorhersagen zu glauben.

    Tierkreiszeichen schon in der Antike

    Dabei sind Widder, Zwilling, Krebs und Co. keine Erfindung des Internetzeitalters. Schon die Babylonier hatten Tierkreiszeichen, die die Griechen und Römer übernahmen. Allerdings: Schon der römische Gelehrte Cicero übte Kritik an der Astrologie: "Es heißt, die Stellung der Sterne zur Geburtsstunde eines Menschen, bestimme sein Schicksal." Dann aber – so Cicero – müssten alle, die am selben Tag geboren sind, das gleiche Schicksal erleiden.

    Das Christentum dann verbannte die Astrologie. Kaiserliche Erlässe zwangen, astrologische Bücher zu verbrennen. Astrologen drohte wahlweise die Verbannung oder der Tod. Am stärksten habe sich das im Christentum manifestiert, stellt der Religionswissenschaftler Kocku von Stuckrad von der Universität Groningen im BR fest. "Sobald die Astrologie fatalistisch wird, haben monotheistische Religionen ein Problem: Wenn man nicht schuldig sein kann, wenn es keine Sünde mehr gibt, weil alles ja festgelegt ist, durch das Horoskop."

    Allerdings betont der Religionswissenschaftler, dass es nicht nur "die" eine Astrologie, sondern viele verschiedene Ausrichtungen gebe. Er spricht deshalb auch von Astrologien.

    Reformator Melanchthon übersetzt Astrologie-Buch

    Mit der Renaissance erfährt die Sterndeutung im Westen eine Rehabilitation, und der Reformator Philipp Melanchthon übersetzt die wichtigste Schrift der Astrologie – allerdings nur ins Lateinische. Ein echtes Problem bekommt die Astrologie dann mit der Aufklärung und der Kopernikanischen Wende, also der Erkenntnis, dass die Erde um die Sonne kreist und nicht umgekehrt – wie es Ptolemäus in der Antike beschrieben hatte.

    "Felsbrocken haben keine Information über menschliche Schicksale"

    Der Astronom Florian Freistetter sagt im BR-Interview: "Da könnten noch so viele Promis behaupten, dass Astrologie funktioniert, in der Wissenschaft zählt nur der Vergleich mit der Realität, und an dem scheitert die Astrologie." So seien bislang alle experimentellen Studien gescheitert.

    Lege man Menschen mehrere Horoskope vor, darunter ein für sie persönlich nach den Regeln der Astrologie erstelltes, müssten die Menschen in der Lage sein, das für sie Passende herauszufinden. Das sei aber nicht der Fall. Sein Blick in den Sternenhimmel fällt daher nüchtern aus: "Heute wissen wir, dass diese Gaskugeln und Felsbrocken keine Aussagen über das Schicksal der Menschen treffen." Die Planeten seien große Kugeln aus Gestein, die weit weg von der Erde durchs Sonnensystem flögen. "Diese Bewegung enthält keinerlei Information über das individuelle Schicksal der Menschen."

    Glückliche Sommerkinder, kriminelle November-Geborene

    Andererseits gibt es wissenschaftliche Untersuchungen zu Sternenkonstellationen und Geburtsmonaten. So stellten britische Psychologen unter 40.000 Befragten fest: Wer im Frühling und Sommer geboren ist, schätzt sein Leben selbst positiver ein als diejenigen, die zwischen September und Februar geboren wurden. Zu einem ähnlichen Ergebnis waren zuvor auch Forscher der schwedischen Universität Umea gekommen: Winterkinder seien demnach weniger entdeckungsfreudig als Sommerbabys. Eine weitere Studie belegte, Novemberkinder landen häufiger im Gefängnis als im Mai Geborene. Ob das an Planetenkonstellationen oder doch eher am Umstand liegt, dass Novemberkinder in der Faschingssaison gezeugt wurden und möglicherweise keine Wunschkinder sind – das steht weiterhin in den Sternen.

    Statistisch signifikant: Steinbock liebt Fische

    Auswirkungen auf einen anderen Lebensbereich scheinen die Sterne aber trotzdem zu haben: und zwar auf die Partnerwahl. Schweizer Forscher befragten 700.000 Ehepaare im Kanton Bern nach ihren Sternzeichen - und tatsächlich kamen manche Konstellationen so häufig vor, dass die Statistiker davon ausgehen, dass das kein Zufall sein kann. Sollte der Steinbock-Mann also doch nach der Fische-Frau Ausschau halten? Und die Stier-Frau braucht den Löwe-Mann gar nicht zu daten?

    Astrologen selbst sind mit solchen Aussagen zurückhaltend - ein persönliches Horoskop sei von so vielen verschiedenen Aspekten abhängig, dass es schwierig sei, einfach auf das Matching von Sternzeichenkonstellationen zu setzen, sagte etwa die Berliner Astrologin Roswitha Broszath einmal.

    Und so bleibt mit dem Blick auf Insta-Tagesbotschaften oder Astro-Apps das, was der Philosoph Theodor W. Adorno über Zeitschriftenhoroskope sagte: Sie würden "mächtige libidinöse Ressourcen der Eitelkeit" freisetzen. Also ein Kreisen ums Ich, dessen Schicksal in Sternen liegt, in einer Zeit, in der Krisen vielleicht zu groß erscheinen, um selbst Verantwortung zu übernehmen.

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