Der Dirigent bei der Arbeit
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Putins Musikmacher: Valery Gergiev

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"Hingabe ans Vaterland": Propaganda-Wirbel um Valery Gergiev

Zu seinem 70. Geburtstag wird der im Westen geschasste Dirigent und Putin-Freund mit staatlich gelenkten Lobeshymnen überhäuft. Er selbst hält sich für eine "geborene Führungspersönlichkeit" und ist der Meinung, Russland mache "etwas sehr Großes".

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

In München wurde er im vergangenen Jahr als Chefdirigent der Philharmoniker geschasst, im Westen ist er wegen seiner Nähe zum russischen Präsidenten Wladimir Putin nirgendwo mehr willkommen, doch das alles scheint Valery Gergiev, der am 2. Mai seinen 70. Geburtstag feiert, in keiner Weise zu beeindrucken: "Ich finde nicht, dass sich mein Leben in eine ungünstige Richtung gedreht hat, es hat sich vielmehr erwiesen, dass ich in der Lage bin, richtig viel zu Hause zu arbeiten", hatte der einflussreiche Multi-Millionär im vergangenen Juni geprahlt. Ihm sei "klar geworden", dass er durch die weggefallenen Verpflichtungen im westlichen Ausland die Chance bekommen habe, wieder zu "lernen" und sich der Nachwuchsarbeit zu widmen. Seit Kriegsausbruch habe er "keinen einzigen politischen Kommentar" abgegeben.

"Russland hat eine Riesen-Chance bekommen"

Das allerdings ist ebenso offenkundige Propaganda, wie alles andere, was Gergiev von sich gibt. "Ich glaube, dass wir in eine Periode unserer Geschichte eingetreten sind, die uns ein riesiges neues Potenzial und eine neue Bedeutsamkeit erschlossen hat", jubelte er über Putins Angriffskrieg: "Ich finde, dass Russland plötzlich eine Riesen-Chance bekommen hat. Wir sollten diese Gelegenheit nutzen und insgesamt etwas sehr Großes tun, das uns nicht auf den Boden niedergedrückt hält. Nur wenn Sie zu Hause Stärke zeigen, genießen Sie auch weltweit Respekt. Sie müssen im eigenen Land fest auf dem Boden stehen."

Zum runden Geburtstag wird Gergiev in den russischen Medien hymnisch gefeiert. Der Gouverneur seiner Wahlheimat-Stadt St. Petersburg, Alexander Beglow, rühmte ihn für seine "tiefe Hingabe an das Vaterland und an die russische Kultur, für persönlichen Mut und Standhaftigkeit bei der Verteidigung der Interessen des Landes". Andere vertraten die skurrile Ansicht, Gergiev habe "russische Opern zu einem festen Bestandteil des Weltrepertoires" gemacht - angeblich gegen Widerstände, und das von dem Dirigenten geleitete Mariinsky-Theater in St. Petersburg mit seinen zahlreichen Außenstellen sei natürlich das "mächtigste" Opernhaus auf Erden.

"Allen Versuchungen und Verführungen ausgesetzt"

Dabei schwärmen die Propagandisten von Gergievs Fähigkeit, drei Auftritte am Tag zu bewältigen, was im Westen als Oberflächlichkeit kritisiert wurde. Der Maestro selbst machte seine Herkunft aus dem Kaukasus für seine gute Kondition verantwortlich, vor allem die "Nähe zur Bergwelt und reichlich Sauerstoff und Sonne".

Gergiev beherrsche "den größten Teil der russischen Musikwelt", heißt es euphorisch in Moskauer Medien, was keine Übertreibung ist: Putin lässt den Dirigenten Bühnen von Wladiwostok bis zur Krim bewirtschaften und geizt nicht mit Subventionen. Als "Musikminister" wolle der Dirigent allerdings nicht bezeichnet werden: "Es ist nur so, dass ich einige Probleme löse, weil ich möchte, dass Russland ein starkes Theater hat und wenn es dafür notwendig ist, nicht nur zu dirigieren, dann tue ich es. Das ist alles. Vor Ihnen steht ein Mann, der allen Versuchungen, Verführungen, allem Glockengeläut sowohl der westlichen als auch der östlichen Welt ausgesetzt war."

"So schwierig wie einen Staat zu lenken"

Bank-Boss und Sponsor Andrej Kostin ließ es sich nicht nehmen, Gergiev für seine vermeintlich "humanistischen Ideale" zu loben, vergaß aber auch nicht, "Standhaftigkeit und Charakterstärke" zu erwähnen. Mit befremdlichem Selbstbewusstsein beteuerte Gergiev, als "Führungspersönlichkeit geboren" worden zu sein, das Talent könne sich keiner aneignen. Entweder ein Orchester werde "totenstill", wenn ein Maestro auftrete, oder es bleibe unkonzentriert, das hänge nicht von Gesten ab, sondern von der "Eigeninitiative, dem Aussehen, Tonfall und der Sprechweise": "Ein so großes Kreativteam zu führen ist so schwierig wie einen Staat zu lenken."

"Ist es Gier oder Dummheit?"

Anders als es der Kreml gern nahelegt, ist der mit staatlichen Mitteln überhäufte Propagandist Gergiev im eigenen Land keineswegs durchweg beliebt. Als er kürzlich darüber klagte, dass sein Mariinsky-Theater in der Corona-Pandemie rund siebzig Prozent weniger Karten verkauft hat, hieß es in russischen Diskussionsforen, er solle sich nicht so aufregen, das könne er ja entweder mit Geld von seinen "Off-Shore-Konten" wettmachen oder "Kumpel" Putin werde es "aus dem Steueraufkommen" kompensieren. Gergiev wurde gar als "Despot und Tyrann" geschmäht, er solle sich wegen seiner Einnahme-Ausfälle an den "Fonds zur Verteidigung des Vaterlands" wenden.

Die "fetten Gewinne" habe der Mann schließlich in früheren Jahren auch "mit niemandem geteilt". Andere nannten die angeblich wahren Gründe für die Finanzkrise: "Die wohlhabenden Touristen bleiben aus." Russen könnten sich die Tickets sowieso nicht leisten: "Ist es Gier oder Dummheit?" Allerdings wurde Gergiev auch "Trost" gespendet: Mit Tschaikowskys Ballett "Schwanensee" werde das Haus schon wieder voll.

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