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Zwischen allen Männern

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Heute ist mir nicht nach Moral: "Lady Windermeres Fächer"

Mit einem inzwischen selten gespielten Oscar Wilde Stück eröffnete das niederbayerische Theater an der Rott seine Saison. Britischer High Society-Humor von gestern in der Provinz von heute - kann das funktionieren? Nachtkritik von Peter Jungblut.

Bis heute pilgern die Leute ja zur letzten Ruhestätte von Oscar Wilde in Paris, und zwar so emsig, dass rundherum eine Glasscheibe aufgestellt werden musste, damit die vielen Lippenstift-Abdrücke der Fans nicht den Grabstein beschädigen. Doch auf den Spielplänen der deutschen Theater kommen die Komödien von Oscar Wilde kaum noch vor. Zu betulich, zu altmodisch, zu blasiert, sagen sich wohl viele Intendanten. Wen interessieren heute noch Stücke, über die sich der englische Hochadel vor 130 Jahren amüsiert hat?


Moral ist eine Mehrheitsfrage


Umso erstaunlicher, dass das kleine Theater an der Rott im niederbayerischen Eggenfelden ausgerechnet mit "Lady Windermeres Fächer" von Oscar Wilde die Spielzeit eröffnete. Regisseurin Elke Maria Schwab:


Ich glaube, dass das sogenannte Konversationsstück, und Stücke von Wilde gehören dazu, generell einen schlechten Ruf haben. Man hat die Meinung, die sind langweilig, es wird zuviel gesprochen, es passiert zu wenig. Aber gerade Oscar Wildes Genialität liegt in dieser Sprache, im Wortwitz, in den Feinheiten. Ich sage immer: Es ist ein Florettkampf, ein Florettfechten, keine Schenkelklopfer-Komödie. Das bedarf eines gewissen Zugangs, man muss ihn mögen oder nicht. Ich glaube, da gibt es nur ein entweder - oder.


Big Ben, Teatime, Rüschen-Optik


Nun sind blasierte Dandys in Niederbayern ebenso selten wie großmütterliche Herzoginnen und deren affektierte Zwillingsbrüder. Und trotzdem funktionierte dieser Oscar-Wilde-Abend. Elke Maria Schwab beließ es bei der viktorianischen Rüschen-Optik, beim Blick auf Big Ben, devotes Hauspersonal und Teatime-Tischchen. Nur so kann Oscar Wilde glaubwürdig sein, er verträgt tatsächlich keine äußerliche Aktualisierung, das wäre nur peinlich. Aktuell ist dafür seine zentrale Botschaft: Die feine Gesellschaft ist nur eine sogenannte feine Gesellschaft, weil sie auf Lebenslügen aufgebaut ist, weil keiner, der was werden will, sagen kann, wer er wirklich ist.


Es mag sich sehr viel verändert haben, aber sehr viel ist auch gleich geblieben: Diese Doppelmoral, diese Scheinheiligkeit, diese Heuchelei. Und vor allem - das war mir ganz wichtig, also diesen inhaltlichen Bogen wollte ich zur Gegenwart spannen - was eine große Masse, eine Gesellschaft mit dem Einzelnen macht, wie sie ihn beurteilt, was sich auch wieder ändern kann, ins Gegenteil. - Elke Maria Schwab


Gut oder böse gibt es nicht, so Oscar Wilde ziemlich bitter in seinem Frühwerk "Lady Windermeres Fächer", das sind alles nur Ansichten, und die wechseln täglich. Mit dem Gehrock legen die Leute eben auch ihre Moral ab, der Ruf ist nur solange ruiniert, solange sich dafür eine Mehrheit findet.


Manche Bonmots perlen ab


In einer für Eggenfeldener Verhältnisse ausgesprochen aufwändigen Dekoration von Ausstatter Gerrit von Mettingen spielen die erstmals fest engagierten fünf Schauspieler am Theater an der Rott Rüdiger Bach (herrlich als Schreckschraube von Herzogin!), Guido Frank, Markus Krenek, Elisabeth Nelhiebel und Carolin Waltsgott das alles so lässig und scheinbar nebenbei, wie es sich für Oscar Wilde gehört. Seine Bonmots perlen am Publikum allerdings mitunter ab, das dieses Tempo, diese anarchische Ironie offenkundig nicht gewohnt ist. Und das hat seinen Grund:


Wir wollten einmal etwas anderes machen. Oscar Wilde wurde hier laut den Statistiken noch nie gespielt. Und natürlich steckt auch eine persönliche Vorliebe dahinter. Da haben wir uns einfach für Wilde entschieden, um etwas anders zu machen. - Elke Maria Schwab


Ein Risiko also, aber der Schlussapplaus war sehr freundlich, obwohl es eigentlich kein Happy End gab. Ganz im Gegenteil: Alle leben ihre Lügen weiter, manche scheitern daran und müssen England verlassen, wie Oscar Wilde selbst ja auch. Und das ist vielleicht das Schlimmste daran: Diese High Society weint niemandem eine Träne nach.


Wieder am 7., 8. und 14. Oktober.