Bildrechte: Bettina Stöß/Deutsche Oper Berlin

Waterboarding für den Glauben?

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Hauptsache nackt: Meyerbeers Oper "Der Prophet" in Berlin

Triebe, Hiebe und Liebe: An der Deutschen Oper Berlin zeigt Olivier Py den Fanatismus-Reißer von Giacomo Meyerbeer (1849) als Gleichnis über Erotik und Macht. Der Aufstand gipfelt in einer Orgie - aufregend oder fad?Nachtkritik von Peter Jungblut.

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Wenn erst mal die letzte aufreizende Unterwäsche-Reklame von den Plakatwänden verschwunden ist, wenn keine Bikini-Schönheit mehr großflächig von einer Hauswand lächeln darf, dann haben die Fanatiker gesiegt, von da an ist es anscheinend nur noch ein kleiner Schritt bis zur Herrschaft des Terrors. So ähnlich stellt es sich wohl der französische Regisseur Olivier Py vor. Außenwerbung ist in seiner umstrittenen Inszenierung von Giacomo Meyerbeers "Propheten" an der Deutschen Oper Berlin jedenfalls ein wichtiges Sinnbild für den Zustand der Gesellschaft: Anfangs räkeln sich auf den Werbeflächen im Bühnenbild freizügige Models, dann werden sie von farbenfrohen Stadtansichten Jerusalems überdeckt, am Ende sind dort Weltraumbilder von fernen Galaxien zu sehen - und ein ausbrechender Vulkan.

Katholiken im schwulen Sexclub

Olivier Py arbeitet sich gern ab an Erotik und Glauben, speziell an Homosexualität und Kirche. Vor ein paar Jahren sorgte er mit seinem Roman "Paradies der Traurigkeit" für Aufsehen. Da treiben es Abend für Abend drei schwule, katholische Männer unter Anleitung eines Skinheads in einem spärlich beleuchteten Sexclub. Hört sich nach Skandal an, aber in Berlin gelten andere Maßstäbe: Da schockierte gestern Abend weder die abschließende Orgie mit splitternackten Ballett-Tänzern, noch das stundenlange Gerangel von oberkörperfreien Soldaten mit Gewehren und mit einander. Olivier Py durfte sich beim Schlussapplaus, zu dem er demonstrativ mit einem silbernen, unübersehbaren Kreuz an der Halskette erschien, über eher müde Protestrufer freuen. Ein paar Zuschauer hatten die Vorstellung vorzeitig verlassen, die übrigen fügten sich gut gelaunt in ihr Schicksal.

Polygamie erhitzt Männerfantasien

Nun geht es in Giacomo Meyerbeers viereinhalbstündiger Grand Opera "Der Prophet" ja tatsächlich um Glaubensterror und Erotik, hier vorgeführt am Beispiel der Wiedertäufer in Münster um 1535. Ein rachsüchtiger Gastwirt schwingt sich zum (falschen) Heilsbringer auf, angestachelt von Opportunisten. Damals herrschten kurzzeitig Kommunismus und Polygamie, die Machthaber konnten also mehrere Frauen heiraten, was die Fantasie mancher Leser bis heute erhitzt und den entsprechenden historischen Büchern immer noch gute Absatzzahlen beschert. Die damalige Rebellion begann und endete wie alle Rebellionen: Erst Begeisterung, dann Engstirnigkeit, Krieg und Diktatur, schließlich der Untergang.

Plattenbauten mit Grauschleier

Olivier Py und sein Ausstatter Pierre-André Weitz verlegten das Spektakel mit in eine triste Plattenbaulandschaft mit Grauschleier, als Gleichnis auf den IS, eigentlich auf alle Gewaltregime, die das Heil versprechen. Ein Engel mit Pappflügeln fliegt durch die Luft, schwarzgekleidete Männer verkündigen die Wahrheit, der vermeintliche Prophet macht Blinde sehend und Lahme gehend, die Gläubigen genehmigen sich sexuelle Ausschweifungen. Und doch ermüdet das Ganze über fünf Akte, weil diese Bilder abgenutzt sind, längst zu Tode zitiert von der Opernregie der letzten zwanzig Jahre, nur noch satirisch wirken statt schockierend. Plattenbauten, Soldaten und Erotiktänzer, die sich ungelenk durch die Kulisse bewegen, das machte den ohnehin heute schwer verständlichen Meyerbeer nicht plausibler.

Solisten zum Schreien verdammt

Entsprechend kritisch wurde auch die viertelstündige Balletteinlage quittiert, wie sie für die Große Oper ja typisch ist - hier leider nur viel martialisches Getue, wenig berührende Gesten, kein erhellender Beitrag zum Regiekonzept. Dirigent Enrique Mazzola, ein Spezialist für Belcanto, wurde gefeiert: Nicht ganz zu Recht. Farbensatt und funkensprühend war das Klangbild, ja, aber auch sehr laut, was die Solisten zum Schreien verdammte. Besonders Clémentine Margaine in der weiblichen Hauptrolle der Mutter des Propheten hatte es da schwer: Sie meisterte die Partie dennoch achtbar, was den Jubel für sie erklärte. Eher unauffällig agierte Elena Tsallagova als Berthe, eine Frau zwischen zwei Männern, die nicht liebesfähig sind. Tenor Gregory Kunde in der kräftezehrenden, ja monströsen Titelrolle begann sehr auftrumpfend, konnte dieses Niveau stimmlich aber nicht ganz halten - vor allem schauspielerisch blieben bei ihm Wünsche offen, so kühl und unbeteiligt, wie er wirkte. Insgesamt ein Kraftakt mit bis zu 200 Mitwirkenden auf der Bühne. Die Botschaft war klar, aber weder neu, noch aufregend. In der Oper ein Problem, in der Politik wohl weniger.


Wieder am 30. November, sowie am 3. und 9. Dezember und weitere Termine.