Es gibt Lieder und es gibt große Lieder. Was letztere ausmacht, ist schwer zu sagen. Man spürt jedenfalls, wenn man einen großen Song hört. "Hallelujah" von Leonard Cohen ist so ein großer Song.
Hallelujah: Cohens spirituellster Song
Im Text werden Spiritualität und Sexualität zusammengebracht, das Profane mit dem Sakralen verbunden, weil Sexualität spirituell sein kann, zumindest manchmal, und Religion, dieses Sich-verbunden-fühlen mit einer höheren Macht erotisch sein kann. Oder zumindest wünschen wir uns das in der jüdisch-christlichen Kultur.
Leonard Cohen, der gebildete Songschreiber, Dichter, Romancier und Sänger aus Kanada, hat aber nicht nur diesen großen Song zustande gebracht. Er hat versucht, eine Sprache zu finden, Worte für Sexualität, Lust und Sinnlichkeit, den Hunger nach Echtheit. Die Ernsthaftigkeit dieses Unterfangens hat ihn schon immer unterschieden von anderen Liedermachern, Troubadouren, Songautorinnen.
Die Doku zeigt Cohen als akribischen Songarbeiter
Der Dokumentarfilm "Hallelujah: Leonard Cohen, a Journey, a Song" von Daniel Geller und Dayna Goldfine stellt Cohens Song "Hallelujah" in den Mittelpunkt und damit das Spätwerk dieses ungewöhnlichen Künstlers, der so gar nicht in die Vorstellungen der Popkultur und von Rock’n’Roll passen will. Er zeigt unter anderem, wie kleinteilig Cohen arbeitete. Für "Hallelujah" schrieb er an die 180 Strophen, bevor er den Song in einer ersten Fassung 1984 für das Album "Various Positions" aufnahm. Die Platte wurde, weil sie dem damaligen Labelboss nicht gefiel, nicht veröffentlicht in den USA. Eine enorme Kränkung von Cohens sensibler Künstlerseele – ein Akt totaler Willkür, der deutlich macht, wie unberechenbar, ja ungerecht Musikindustrie und Showbiz sein können.
Für ein Tribute-Album nahm dann später John Cale das Lied auf. Cale hatte bei Velvet Underground, den New Yorker Lärm-Rock-Apologeten, Bratsche gespielt, Patti Smith und Iggy Pop & The Stooges produziert, ein ebenfalls integrer Musiker, der nicht in die üblichen Schubladen passt. Cales Fassung ist auf das Wesentliche reduziert. Ein junger Typ, Sohn eines phantastischen, viel zu früh verstorbenen Rocksängers, entdeckte diese Aufnahme und machte sich das moderne Gebet, wie der Song im Film genannt wird, zu eigen.
Hallelujah: Die Mutter aller Cover-Songs
Anders als Leonard Cohen und John Cale, ältere Herren, die zum kulturpessimistischen Raunen neigten (und neigen), gab Jeff Buckley in seiner Version den jungen, unbeschwerten Liebhaber, der bittersüß litt am Scheitern seiner Beziehung. Als Buckley überraschend verunglückte, wurde sein "Hallelujah" zum Schwanengesang. Der Song wurde nun von Indie-Amerika, vom jungen Publikum aufgegriffen, bis er, nachdem er in einem der Shrek-Kinofilme zu hören war, zu Everybody’s darling, ja fast schon zum Volkslied mutierte. Der Gospelsong im sechs-achtel-Rhythmus avancierte auch zum Höhepunkt zahlloser Fernseh-Talentshows.
Dichterisch lebe der Mensch, hat ein alter Romantiker erkannt. Leonard Cohen, der Sohn aus gutem Hause, hat nach dieser Devise gelebt, geliebt und gearbeitet. Es ist die Stärke dieses Films, der ohne aus dem Off gesprochenen Kommentar auskommt, dass er das Dichterische als roten Faden in Cohens Leben herauspräpariert. Das Dichterische findet sich auch in den Liebesbeziehungen, die der Ladiesman Cohen zu seinen Musen unterhielt, in seiner spirituellen Suche, in den Songs, den Bühnenauftritten, von denen es zahlreiche Ausschnitte zu sehen gibt, aus diversen Jahrzehnten übrigens, und in seiner Musik.
Gelungenes Porträt eines Anti-Zynikers
Die beiden Filmemacher Geller und Goldfine haben eine philologische Fleißarbeit abgeliefert. Sie haben Weggefährten, Journalisten, Branchenkenner, Geliebte und natürlich Kolleginnen wie Judy Collins befragt oder Fremd-Interviews ausgewertet. So entsteht das vielschichtige, ergreifende Porträt eines Ausnahmekünstlers, der das Publikum mit heiligem Ernst und feinem Witz verzauberte. Wer sich für große Songs interessiert, und wie sie gegen Widerstände ihren Weg finden zum Publikum, wer Leonard Cohen mag, diesen aufrechten Anti-Zyniker, dem sei dieser ergreifende Dokumentarfilm ans Herz gelegt.
Verpassen war gestern, der BR Kultur-Newsletter ist heute: Einmal die Woche mit Kultur-Sendungen und -Podcasts, aktuellen Debatten und großen Kulturdokumentationen. Hier geht's zur Anmeldung!