Im Oktober 2020
Bildrechte: Eva Tedesjo/Picture Alliance

Paul Auster und Siri Hustvedt

    Gratwanderung im "Krebsland": Siri Hustvedt bangt um Paul Auster

    Der 76-jährige Schriftsteller Paul Auster wird in New York wegen einer Krebserkrankung behandelt, machte seine Ehefrau jetzt öffentlich. Jeder wisse, dass nicht alle daran sterben müssten, doch der Alltag werde durch die Lebensgefahr immer verändert.

    Mit diesem erschütternden Geständnis machte die amerikanische Autorin Siri Hustvedt (68) international Schlagzeilen. Sie habe sich einige Zeit nicht mehr auf Instagram gemeldet, so die Verfasserin des Bestsellers "Die zitternde Frau. Eine Geschichte meiner Nerven".

    Zur Begründung schrieb sie, ihr Ehemann Paul Auster, mit dem sie seit 1982 verheiratet ist, benötige derzeit intensive Zuwendung: "Das liegt daran, dass bei meinem Mann im Dezember Krebs diagnostiziert wurde, nachdem er zuvor mehrere Monate krank gewesen war. Er wird jetzt im Sloan Kettering-Krankenhaus in New York behandelt, und ich lebe an einem Ort, den ich Krebsland ('Cancerland') nenne. Viele Menschen haben seine Grenzen überschritten, entweder weil sie selbst erkrankten oder als Angehörige eines Kindes, eines Ehepartners oder eines lieben Freundes, der Krebs hat oder hatte."

    "Intimität ist wie ein Mengendiagramm"

    Die Krankheit sei für jeden Betroffenen unterschiedlich: "Alle Körper sind in gewisser Weise gleich und doch verschieden." Es sei offenkundig, so Hustvedt, dass nicht jeder an Krebs sterben müsse, und doch verändere das Leben mit der Krankheit den Alltag. "Intimität mit einer anderen Person ist nicht nur eine gleichartige Erfahrung, so wie zwei Linien, die sich in dieselbe Richtung bewegen, sich aber nie kreuzen. Es ist viel mehr wie ein dynamisches Mengendiagramm – falls so etwas möglich ist. Die überlappenden Teile zweier Kreise bewegen sich und verändern sich im Laufe der Zeit. Ein bewegendes 'ich' und 'du', das zum 'wir' werden kann."

    Als Angehöriger müsse man dem Patienten nahe genug sein, um die "nervtötenden Behandlungen fast so zu durchleben, als wären es die eigenen", gleichzeitig müsse man jedoch genug Abstand wahren, um eine "echte Hilfe" sein zu können. Es sei ein "Abenteuer", ein schwieriger Balanceakt: "Zu viel Empathie kann einen Menschen nutzlos machen! Diese Gratwanderung ist natürlich nicht immer einfach, aber es ist das wahre Werk der Liebe." Auf jeden Fall stelle sie es sich "entsetzlich" vor, im "Krebsland" allein gelassen zu werden.

    Hustvedt wandte sich als Essayistin der Neurowissenschaft zu und unterrichtet in New York auch "narrative Psychiatrie". Sie arbeitete mehrfach über das Wechselverhältnis zwischen Körper und Geist und widmete sich auch der Frage, wie das menschliche Erbgut eigentlich genau definiert ist.

    "Sonne bricht genau zur gleichen Zeit hervor"

    Am 14. Februar erschien Hustvedts neuer Essayband "Mütter, Väter und Täter". Dort schrieb sie über ihren Mann: "Mag sein, dass der Geist zweier Köpfe, die einander viele Jahre lang sehr nahe waren, verbunden durch den Dialog und geteilte Geheimnisse, durch Streit und Versöhnung, Freud und Leid, einen Sinn für Humor und die alltäglichen Begegnungen, rund um die Uhr in den verschiedensten Momenten, so verschmilzt, dass eine gemeinsame Geistesverfassung entsteht. Der Wind frischt auf, die Wolken geraten in Bewegung, und die Sonne bricht genau zur gleichen Zeit in zwei Köpfen hervor statt in einem."

    Nach jahrzehntelanger Ehe könne sie zwar immer noch nicht die Gedanken von Paul Auster lesen, so Hustvedt, und doch gebe es eine für sie "unerklärliche" übereinstimmende Reaktion auf äußere Ereignisse: "Er hat Hinterstübchen in seiner Persönlichkeit, die ich wohl nie gesehen haben dürfte. Geheimnisse im Überfluss. Und doch hat die Zeit eine verblüffende mentale Spiegelung zwischen uns geschaffen. Ein Freund erzählt uns eine Geschichte, die unmittelbar in jedem von uns eine identische Assoziation auslöst. Noch bevor mein Mann den Mund aufmacht, weiß ich, was er sagen wird, oder er weiß es von mir, bevor ich spreche."

    Paul Auster ist einer der bekanntesten US-Autoren seiner Generation. Zu seinen Romanen gehören "Sunset Park" und "Mann im Dunkel", daneben veröffentlichte er zahlreiche Lyrik- und Essaybände.

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