Moment mal, ist das wirklich Sam Smith? Er sitzt da in einer übertrieben großen Lüsterlampe, sein kilometerlanger Goldumhang baumelt von der Decke und er scheint fest davon überzeugt zu sein, dass die Champagnerflasche in seiner rechten Hand ein Mikrofon ist. Zu sehen ist die Szene im Musikvideo von "I'm not here to make friends".
Früher ist bei Sam Smith vor allem der Balladenschmalz von der Decke getropft, doch auf dem neuen Album "Gloria" ist die Ballade – und das ist mal gar nicht schade – Mangelware und lädt uns stattdessen ein zu seiner quietschbunten Referenz-Disko.
"Krieg' ich von Euch da jetzt ein Amen?!"
"I'm not here to make friends" – ich bin nicht hier, um neue Freunde zu finden. Das ist nicht nur das Gefühl von Smith nach zu vielen Dates ohne Partnerschaftsperspektive. "I'm not here to make friends" ist ein bekannter Satz der preisgekrönten US-Dragshow "RuPaul’s Drag Race", der dann auch zu Beginn des Lieds zu hören ist: "Wenn Du Dich nicht selbst lieben kannst, wie zur Hölle willst du dann einen anderen Menschen lieben. Krieg' ich von Euch da jetzt ein Amen?!" Einer der berühmtesten Sätze der US-Drag-Ikone RuPaul wird zur Blaupause für Sam Smith und das Album "Gloria".
"Gloria" soll ein Liebesbrief an Sam Smiths früheres Ich sein
Der Titelsong "Gloria" sei der wichtigste Song seines Lebens, sagt Sam Smith. Das Gloria-Singen in der katholischen Schule sei eine prägende Erfahrungen für ihn gewesen. Er halte sich nicht für religiös, so Smith weiter, aber er habe seinen Glauben gefunden, sein Vertrauen zu sich. Das Puzzlestück, das bisher fehlte: "Gloria" soll ein Liebesbrief an Sam Smiths früheres Ich sein, das sich müde und isoliert fühlte. Ein Song der Hoffnung, der Versuch, die eigene Kindheit neu zu schreiben. Botschaft: Sei wer du bist und zwar so laut wie möglich!
Bei "Unholy" holt Sam Smith dann die R’n’B-Peitsche raus, dazu orientalische Harmonien, eindringlicher Chorgesang und die Geschichte eines Vorzeige-Familienvaters, der sich heimlich im verruchten Stripclub kreuz und queer mit Männlein und Weiblein vergnügt.
Das queere-Opern-Konzept geht gut auf
Die auffallende Stilvielfalt auf "Gloria" ist der Idee geschuldet, den eigenen prägenden Pop-Ikonen mit jeweils einem Lied zu huldigen. Whitney Houston, Destiny’s Child, Rihanna oder George Michael im Song "Lose you", der sich als eher mäßig aufregender Autotune-Elektropop entpuppt, dem aber wieder eins der sehr politisch aufgeladenen kleinen Interludes vorausgeht. Meilensteine queeren Lebens. Wie zum Beispiel die Worte eines Nachrichtensprechers aus der Zeit der aufkommenden Schwulenbewegung: Lügen zu müssen, sei der schrecklichste und traurigste Part für einen Homosexuellen, "wenn Du zum ersten Mal Liebeskummer hast und Du aber zu niemandem gehen kannst, um Deinen Schmerz zu teilen".
Sam Smith hat – zum Glück auch für diese Platte – genügend Freunde, zu denen oder mit denen er auch ins Tonstudio gehen kann. Calvin Harris, Jessie Reyez oder die jamaikanische Reggae-Künstlerin Koffee. Das Leben ist ein Song, das Leben ist eine gewaltige Oper. Da gibt's traurige Songs, fröhliche Songs, sexy Songs, findet Sam Smith und ergänzt: "Ich möchte, dass mein Leben wie so eine Platte ist."
Und man möchte ergänzen: Dieses queere-Opern-Konzept geht gut auf. Selbst die etwas platte Ballade über universelle Liebe zusammen mit dem ewigen Balladenboy Ed Sheeran, die geht schon okay. Die Message ist ja wunderbar: "Wir lieben, wen wir lieben."
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