Etel Adnan, Persian, 1963-64
Bildrechte: VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Große Etel-Adnan Ausstellung im Kunstbau des Lenbachhauses

  • Artikel mit Audio-Inhalten

Globaler, diverser, mehr Frauen: Das Kunstjahr 2022 in Bayern

Die Amerikanerin Joan Jonas und die Japanerin Fujiko Nakaya im Haus der Kunst, die Iranerin Shirin Neshat Neshat in der Pinakothek der Moderne: weibliche Künstlerinnen kamen 2022 endlich groß raus. Aber nicht weil sie weiblich sind, sondern gut!

Die Kunst in unseren Museen ist globaler und diverser geworden, vor allem Frauen sind in der Mitte der Kunst angekommen. Das war in diesem Jahr in bayerischen Häusern deutlich zu spüren. Beispiel Haus der Kunst in München: Mit Joan Jonas ist hier gerade eine der wichtigsten Performance- und Videokünstlerinnen überhaupt zu sehen. Zuvor war die Arbeit von Fujiko Nakaya ausgestellt, einer japanischen Videopionierin und Bildhauerin – allerdings in einer etwas anderen Art, als man vielleicht meint. Andrea Lissoni, Direktor am Haus der Kunst: "Wenn wir an Bildhauerei denken, denken wir an Skulpturen im öffentlichen Raum, wir denken an einen Mann, an Stahl, Bronze, Stein. Es gibt eine Geschichte der Skulptur, und die hat nicht zu tun mit der Erinnerung der Vergangenheit, sondern der Möglichkeit von zeitgenössischen Momenten zu erzählen und die Zukunft irgendwie zu entwickeln. Das konzeptuell ist – glaube ich – der erste wichtige Punkt".

Weibliche Skulpturen

Nakaya arbeitet unter anderem mit Nebel. Ihre Nebel-Installation "Munich Fog" hat das Haus der Kunst nach einigen schwierigen Jahren endgültig wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit katapultiert. Es war eine publikumswirksame Ausstellung mit Event-Charakter – aber auch mit Tiefgang. In ihren frühen Videos verhandelt Nakaya grundlegende Fragen der Kunst. Gleich zwei Videos zeigten, wie jemand versucht, ein Hühnerei hochkant auf den Tisch zu stellen. Man kam gar nicht umhin an das EI des Kolumbus zu denken. Der Eroberer hatte die Aufgabe der Überlieferung nach gelöst, indem er das Ei so kräftig auf den Tisch schlug, dass es mit eingedrückter Spitze stehenblieb. Fujiko Nakaya zeigt in ihren Videos, dass das gar nicht nötig ist: Mit ein bisschen Fingerspitzengefühl und Geduld steht das Ei auch ohne es kaputt zu machen. So sieht Bildhauerei bei einer Frau aus.

Universelle Sprache der Malerei

Was nicht heißen soll, dass Frauen grundsätzlich andere Kunst machen als Männer. Das Geschlecht spielt einfach keine Rolle mehr. Die Fülle weiblicher Künstlerinnen, die dieses Jahr in Bayern zu sehen waren: eine Frage der Qualität. Karin Kneffel im Franz Marc-Museum in Kochel. Die genannten Joan Jonas und Fujiko Nakaya im Haus der Kunst. Oder: Etel Adnan im Münchner Lenbachhaus. Die 2021 verstorbene Libanesin war zunächst Lyrikerin und Intellektuelle. Zu malen begann sie erst spät – aus politischen Gründen, sagt Kuratorin Melanie Vietmeier: "Etel Adnan begann in den 50er Jahre zu malen und das war ein ganz entscheidender Moment: Es fiel zusammen mit Unabhängigkeitskrieg Algeriens. Es ar der Moment, in dem sie sagte, sie möchte nicht mehr in der Sprache der Kolonialmacht Frankreich schreiben und arbeiten als Schriftstellerin, Lyrikerin und Poetin. So war für sie die Bildende Kunst auch ein Ausweg aus dieser Sprachlosigkeit, um sich in eine universelle Sprache zu begeben, die ohne Text, ohne Schrift funktionierte.

Porträts iranischer Frauen

Ganz anders die iranisch-amerikanischen Fotografin und Filmemacherin Shirin Neshat. Sie überzieht ihre Schwarzweiß-Porträts iranischer Frauen und Männer mit Schriftzeichen, meist handelt es sich um Texte verbotener Schriftsteller.Neshat gilt als bedeutendste iranische Künstlerin der Gegenwart, lebt allerdings seit den 70er Jahren in den USA. Die Auswirkungen der Revolution auf das Leben insbesondere der Frauen im Iran ist nur eines ihrer Themen. In der Pinakothek der Moderne in München in diesem Jahr war eine Fotoserie mit Porträts amerikanischer Kleinstadtbürger zu sehen: Frauen, Männer, Kinder, manche mit Cowboyhut, andere mit Tattoos, im Anzug oder Karohemd.

Natürlich muss man nicht nur fragen WAS, sondern auch WIE stellen wir aus? Ist eine chronologische Abfolge von Schulen und Ismen wirklich noch das Maß aller Dinge? Natürlich nicht, man kann Kunstgeschichte auch anders erzählen.

Bildrechte: dpa/ Bildfunk

Der französische Künstler JR in seiner Ausstellung "JR : Chronicles" in der Kunsthalle München

Alte Meister jenseits des Kanons

Das Museum of Modern Art in New York hat es vor ein paar Jahren vorgemacht, hat nach völlig neuen Gesichtspunkten geordnet und gezeigt: Man kann Kunst auch nach ethnischer Zugehörigkeit ordnen, kann die Wahrnehmung von Weiblichkeit zum Thema machen oder die Darstellungspraxis von Minderheiten. Jetzt hat auch die Alte Pinakothek, also ein Museum mit alten Meistern ihre Karten neu gemischt und rund 200 Gemälde neu gehängt. Erstmals in der Geschichte des Hauses orientiert sich die Hängung nun nicht mehr an chronologischen und geographischen Gesichtspunkten. Andreas Schumacher: Es ist ein bildungsbürgerlicher Kanon, ein Denken in der Kunstgeschichte des späten 18., beginnenden 19. Jahrhunderts, dass eine Altmeistergalerie ein lehrreicher Parcours sein soll, die einem den Kanon der europäischen Malerei in diesen strengen Grenzen der Kunstlandschafen darlegt. Das ist auch ein elitärer Zugang, der nichts mehr damit zu tun hat, wie wir die Besucher heute erleben, die öffnen sich diesen Werke sehr emotional, und haben dann ihre sehr individuellen, persönlichen Zugänge.

Nun hängt da eine Landschaft neben einer ganz anderen Landschaft, ein Porträt neben einem Porträt aus einer völlig anderen Zeit, einfach nur, weil sie das gleiche Motiv haben, weil sie Geschichten ähnlich erzählen oder weil sich ihre Maler schätzten, so Giovanni Bellini und Albrecht Dürer, deren Begegnung lange Zeit nicht die Alpen, sondern alte Denkmuster im Weg standen.

Ziel der Museen ist bei alldem immer auch, Schwellenängste zu nehmen und neue Bevölkerungsschichten zu erreichen. Da ist es nur folgerichtig, dass in diesem Jahr auch populärere Kunstformen wie Street Art Einzug in die heiligen Hallen der Kunst gefunden haben. Der französische Künstler und Fotograf JR hat in der Hypo-Kunsthalle gezeigt, wie man wirklich Kunst für alle macht: Indem er seine Porträts sozial schwacher Menschen riesengroß auf Container, Hochhäuser oder Wellblechdächer plakatiert, holt er die sonst Unsichtbaren vom Rand der Gesellschaft in die Mitte des öffentlichen Raums.

Keine Frage: Die Kunstwelt ist in diesem Jahr wieder ein bisschen globaler, diverser und vor allem weiblicher geworden.

Verpassen war gestern, der BR Kultur-Newsletter ist heute: Einmal die Woche mit Kultur-Sendungen und -Podcasts, aktuellen Debatten und großen Kulturdokumentationen. Hier geht's zur Anmeldung!