"Englisch in Berlin": In ihrem Gesprächsbuch denken Moshtari Hilal (vorne) und Sinthujan Varatharajah darüber nach, wann Englisch ausgrenzt
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"Englisch in Berlin": In ihrem Gesprächsbuch denken Moshtari Hilal (vorne) und Sinthujan Varatharajah darüber nach, wann Englisch ausgrenzt

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Gesprächsband "Englisch in Berlin": Wen Englisch ausgrenzt

Kann jeder, versteht jeder – Englisch ist inklusiv, oder? Nein, sagen Moshtari Hilal und Sinthujan Varatharajah in ihrem Buch "Englisch in Berlin". Denn so einfach ist es nicht. Über blinde Flecken des Kosmopolitismus.

Wen interessiert überhaupt, wer in Berlin wo und warum Englisch spricht? Nun, einen ganz bestimmt: Jens Spahn. Der "ärgerte" sich vor ein paar Jahren nämlich öffentlichkeitswirksam darüber, dass "in Teilen der deutschen Hauptstadt die deutsche Sprache immer weiter ins Hintertreffen" gerate. Besonders in Cafés und Kneipen, in denen sich inzwischen Englisch als Verkehrssprache durchgesetzt habe. Verwendet vor allem von Hipstern als Instrument des sozialen Distinktionsgewinns, nämlich um anzuzeigen, dass man zur sogenannten kosmopolitischen Elite gehöre.

Spahn und seine Berliner Café-Kritik

"Sprechen Sie doch Deutsch!" onkelte Spahn damals und warnte von der Gefahr kultureller Selbstverzwergung. Es hagelte Häme. Aber was tut man nicht alles als konservative Nachwuchshoffnung der CDU (die Spahn damals noch war). Immerhin hat ihm das Thema viel Aufmerksamkeit verschafft, medialen Distinktionsgewinn sozusagen. Das zeigt sich auch daran, dass einem sofort Spahn einfällt, wenn man durch das Gesprächsbuch von Moshtari Hilal und Sinthujan Varatharajah blättert – auch wenn sein Name kein einziges Mal fällt.

Die Stoßrichtung ihrer Kritik ist nämlich eine ganz andere als die des katholischen Münsterländers. Das beginnt schon bei der Herkunft der Autorinnen. Ihre Eltern kamen als Geflüchtete nach Deutschland. Im Fall von Hilal aus Afghanistan, aus Sri Lanka bei Varatharajah. Beide wuchsen in Flüchtlingslagern auf, erlebten die Demütigungen des Deutschen Asylsystems. Und sie sind – gegen alle Wahrscheinlichkeiten – vom Rand der Gesellschaft ins Herz des deutschen Kulturbetriebs vorgedrungen.

Nur (!) Englisch darf nicht jeder

Viel Aufmerksamkeit bescherte ihnen vor einem Jahr der Vorschlag, Menschen, deren Eltern oder Großeltern in den NS verstrickt gewesen seien, als "Menschen mit Nazihintergrund" zu bezeichnen – eine Umkehrung der Rede von "Menschen mit Migrationshintergrund". Dass die beiden in ihrer nun in Buchformat veröffentlichten Sprachkritik, einem verschriftlichten Insta-Livetalk, nicht in dasselbe Horn blasen wie Jens Spahn, versteht sich da fast von selbst. "Es geht uns explizit nicht darum, die Vormachtstellung der deutschen Sprache in öffentlichen Räumen zu sichern", betont Hilal.

Sie und Varatharajah interessiert zweierlei: zum einen, wie sich Englisch zumindest in gewissen Räumen als selbstverständliche Alternative zum Deutschen etablieren konnte – und vor allem für wen. Denn diese Alternative ist offensichtlich keine für alle. Varatharajah spricht auch von Doppelstandards: "Wir sind mit Eltern aufgewachsen, denen über Jahrzehnte hinweg keine Deutschkurse angeboten wurden und dennoch abverlangt wurde, Deutsch zu sprechen."

Moshtari Hilal (rot-orange) und Sinthujan Varatharajah (gelb) in London
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Moshtari Hilal im Bayern2-Interview - einfach hier klicken!

Gründe für die Berliner Sprachpolitik

Wie kommt es, dass diese Anforderungen für andere nicht gelten, fragen die Autorinnen. Wie es kommt es, dass es für Personen mit einem bestimmten ökonomischen und sozialen Hintergrund möglich ist, in Berlin zu leben, ohne sich auch nur deutsche Grundkenntnisse anzueignen – und ohne deshalb zu Angehörigen einer Parallelgesellschaft erklärt zu werden? Wie kommt es, dass manche Kulturinstitutionen ausschließlich auf Englisch kommunizieren – oder dass die Berliner Zeitung ein englischsprachiges Segment pflegt, und das ganz demonstrativ ohne Bezahlschranke?

Hilal und Varatharajah machen im Zuge ihres lauten Nachdenkens verschiedene Gründe für diese Sprachpolitiken aus. Im Zentrum steht allerdings die Figur des Expats, also des gutausgebildeten, relativ wohlhabenden, englischsprechenden Kosmopoliten, der so wichtig sei für die "Selbstvermarktung" der Stadt als internationaler, weltoffener Metropole – von einer "von Berlin und Deutschland geförderte[n] Expatisierung" sprechen die Autorinnen in dem Zusammenhang auch.

"Richtige" Sprache öffnet Räume, die "falsche" schließt sie

Das wäre gar nicht weiter schlimm, wenn diese Strategie nicht auch Menschen ausschließen würde. Das ist der zweite und vielleicht noch wichtigere Diskussionspunkt des Buchs: Die beiden machen Schluss mit der Illusion, Englisch zu sprechen wäre per se schon inklusiv. "Denn die Mehrheit der Menschen, die hier als sogenannte Ausländer kategorisiert sind, sprechen eben nicht muttersprachlich oder als zweite Sprache Englisch. Es sind andere Sprachen, ob Polnisch, Russisch, Türkisch, Kurdisch oder Arabisch." Sprachen also, die nicht mit demselben Ansehen verbunden sind, wie das Englische. Sprachen, die – Stichwort: Parallelgesellschaft – mitunter sogar als bedrohlich wahrgenommen werden, als Ausdruck mangelnden Integrationswillens. Auch das lernt man aus diesem Buch: Die "richtige" Sprache öffnet Räume, die "falsche" schließt sie. So ähnlich wie der richtige oder falsche Pass.

Vielleicht würde die Berliner Zeitung mit einer arabischsprachigen Beilage sogar mehr Menschen erreichen. Oder zumindest andere. Und mit Blick auf die Nachbarschaft im Kiez wäre in Kreuzberger Cafés wohl eher Türkisch angesagt. Letztlich, so die Autorinnen, bleibe Englisch die Sprache einer Minderheit. Und zwar einer privilegierten. So gesehen sei ihre ausschließliche Verwendung klassistisch, und mittelbar sogar rassistisch: "Weil die Menschen, die hier wegen ihrer Klassenherkunft bewusst ausgeschlossen werden, häufig auch bestimmte ethnische Herkünfte haben." Auch wenn Varatharajah und Hilal, die selbst in London studiert haben, Gegenbeispiele dieser These zu sein scheinen – die Hürden, die sie in ihrer eigenen Bildungsbiografie zu überwinden hatten, stützen sie.

Englisch unter Rassismusverdacht

Aus dieser Perspektive erscheint der in Berlin zelebrierte Kosmopolitismus eher als Hürde für die gesellschaftliche Teilhabe von rassifizierten, oder allgemeiner gesprochen, diskriminierten Personengruppen vor Ort. Das zeigt sich auch auf der Ebene der Repräsentation, nämlich mit Blick auf die Einladungspolitik von Kulturinstitutionen. So beobachtet Hilal, "dass in Diskussionen über Themen wie Rassismus oft Personen, welche die hier herrschenden Verhältnisse von klein auf erlebt haben, ersetzt werden durch englischsprachige Expat-Perspektiven."

Eine geradezu zynische Pointe. Die globale sticht die lokale Perspektive, weil sich Veranstalter auf diese Weise nicht nur sichtbar gegen Rassismus positionieren, sondern auch demonstrieren können, wie international sie aufgestellt sind. Man lädt also Personen ein, die den lokalen Kontext gar nicht kennen und nichts dazu zu sagen haben. Mit dem bequemen Ergebnis, dass man die Probleme vor der eignen Haustür fröhlich übersehen kann. Von einem "Debattenimport" sprechen Hilal und Varatharajah hier. Man könnte genauso gut von einem Debattenoutsourcing reden. Anstatt zum Beispiel über unseren Rassismus reden wir über den der anderen. Die bösen USA und so.

Lokal denken, statt global!

Man sollte vorsichtig sein, die Beobachtungen, die Varatharajah und Hilal in ihrem Gespräch machen, zu verallgemeinern. Wer in diesem Buch nach generellen Ratschlägen sucht, der wird kaum fündig. Denn das ist ein zentrales Mantra der beiden: In welchen Situationen, an welchen Orten Englisch ausgrenzend wirkt, lässt sich nicht pauschal beantworten, sondern ist hochgradig kontextabhängig. Immer wieder pochen die Autorinnen zudem darauf, wie entscheidend der lokale Kontext sei, um zu verstehen wie die großen Ismen, wie Klassismus oder Rassismus, funktionierten.

Gerade darin liegt aber eine Erkenntnis, die vom lokalen Kontext unabhängig ist – die man unbedingt beherzigen sollte, egal ob man sich für Englisch in Berlin interessiert oder nicht. Und die interessante Fragen aufwirft: Wie international sollten, ja können etwa Debatten über Rassismus überhaupt geführt werden? Und warum hat der Mord an George Floyd in den USA in Deutschland viel mehr Menschen auf die Straße getrieben hat als etwa Hanau oder der Mord an Oury Jalloh?

Moshtari Hilal und Sinthujan Varatharajah ist mit "Englisch in Berlin" nicht nur ein außergewöhnlich beobachtungsstarkes Buch gelungen, sondern auch eines, das die Leserin mit einigen offenen Fragen zurücklässt. Und das im besten Sinn.

„Englisch in Berlin – Ausgrenzungen in einer kosmopolitischen Gesellschaft“ ist bei Wirklichkeit Books erschienen.