Ein Bauloch ist der Anfang jeder Architektur, der guten wie der schlechten. Am Narbonner Ring im Nordosten von Weilheim fand vorletzte Woche der Spatenstich für ein Schulhaus statt. Ein Bagger steht auf dem ehemaligen Erdbeerfeld, Ecke Hardtkapellenstraße. Entstehen wird dort eines der wenigen Gebäude von Francis Kéré in Deutschland. Es handelt sich um den Neubau der Freien Waldorfschule Weilheim am Rand der oberbayerischen Kreisstadt.
ARGE Waldorfschule in Weilheim
Den inzwischen mit dem Pritzker-Preis prämierten Architekten konnten die verantwortlichen Schulgründer vor fünf Jahren überraschend für den Entwurf gewinnen. Zwar wurde und wird Kéré fast im monatlichen Rhythmus gefragt, ob er nicht hier und dort eine Bildungseinrichtung bauen wolle, aber in der Regel lehnt er ab. Bei der Anfrage aus Weilheim machte er eine Ausnahme, weil ihm die Idee gefiel, dass dort ein Schulhaus im Zusammenspiel von Lehrern, Eltern, Förderern sowie den Schülerinnen und Schülern entwickelt wird. Das erinnerte Francis Kéré an seine Heimat – das kleine Dorf Gando in Burkina Faso, wo er aufwuchs und als Sechsjähriger anfangs zur Schule ging: ein Lehrer, 150 Kinder. Ein Raum – klein, dunkel, heiß und total überfüllt.
Der Architekt Francis Kéré.
Das Bildungssystem in seinem Dorf revolutionierte er Jahre später mit seinem ersten Bau als Architekt, der 2001 fertiggestellten Grundschule, ebenfalls aus dem Kollektiv heraus entstanden, was Kéré für die Weilheimer Waldorfschule und deren partizipativen Ansatz so eingenommen hat, wie er erklärt: "Mein Eigentlich brauchen sie mich ja gar nicht. Es ist ja fast wie in meinem Dorf – sie reden sehr konkret und fair miteinander. Das fand ich gut."
Gestaltung von nachhaltigen Begegnungsräumen
Vor gut vier Jahren stellte Francis Kéré seinen Entwurf für Weilheim erstmals vor. Es gibt Parallelen zu den vielen Schulen, die er inzwischen in afrikanischen Ländern gebaut hat: den integrativen Ansatz im Sinne der Begegnungsräume für Schülerinnen und Schüler aller Altersklassen; die Anordnung der mehrteiligen Gebäude als Häuser wie rund um einen Dorfplatz; die so einfache wie nachhaltige Bauweise mit regionalen Materialien und möglichst natürlichen Belüftungs-und Lichtkonzepten; die organische Verbindung zwischen Gebautem und umliegender Natur. Alles Kriterien, die auch die Jury des Pritzker-Preises anführte.
Rituale in Bayern und Afrika
Als Stipendiat der Carl Duisberg Gesellschaft, eines Vereins zur Förderung der internationalen beruflichen Bildung, kam er 1985 als 20-Jähriger nach München, lernte als Neuankömmling Deutsch, trug nachts Zeitungen aus, jobbte in einer Buchhandlung sowie auf Baustellen, und begegnete bei Ausflügen immer wieder der bayerischen Kultur, die ihn an die Stammesrituale in seiner Heimat erinnert habe: "Wir sind in Dörfer gegangen – und ich habe mich gewundert, wie die Damen ihre Körper zur Schau gestellt haben. Und das war so wie Zuhause. Das war verrückt!"
ARGE Waldorfschule in Weilheim - Innenraum
Verantwortungsvolles und gemeinschaftliches Bauen
Den Gewinn des Pritzker-Preises begreift Francis Kéré jetzt als große Bestätigung seiner Maxime, so einfach, verantwortungsvoll und gemeinschaftlich wie möglich zu bauen: "Mein Gesetz, das sind die Menschen. Ich muss so gut bauen, dass sie inspiriert werden. Dass sie glücklich werden. Dass sie fasziniert werden von dem, was sie gemeinsam geschaffen haben. Dass sie das, was ich mache, als ihr Eigenes betrachten. Dass sie es schützen. So sehe ich meine Bauweise und auch mein Verhältnis zu Deutschland. Und das ist gut, das ist wunderbar."
Büro in Berlin – Bauten überall
Francis Kéré betreibt sein Architekturbüro in Berlin, ist in aller Welt unterwegs und plant und baut nach wie vor viel in afrikanischen Ländern – so etwa die neue Zentrale des Goetheinstitutes in Dakar, die Nationalversammlungen von Benin und Burkina Faso oder den Nationalpark von Mali. Er entwickelte zwei spannende Projekte für München: den TUM Tower, ein multifunktionales Bürgerzentrum im Herzen des Forschungscampus Garching der Technischen Universität, sowie den Kunstareal-Pavillon, der die Münchner Museen rund um die Alte Pinakothek verbinden soll.
ARGE Waldorfschule in Weilheim - Blick von oben
Seinen Entwurf für die Weilheimer Schule hat er inzwischen, wie geplant, zur Bauausführung an die Münchner Arbeitsgemeinschaft der Architekten Mirek Tobor, Alexander Herrle und Matthias von der Recke übergeben. Die Pläne wurden überarbeitet, leicht verändert und in ihren Grundprinzipien optimiert. Eröffnet werden soll der erste Bauabschnitt nächstes Jahr im Herbst – erwartet wird dann natürlich auch Francis Kéré. Der für den Bau zuständige Lehrer Hans Georg Schmitz lobt den afrikanisch-deutschen Architekten vor allem für seine bewundernswerte Empathie – Kéré habe wirklich sehr gut zuhören können, sagt er, und das sei eine große Qualität für das Entstehen von guter Architektur, ganz im Sinne der späteren Nutzer.
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