ROT (Disney+)
Tamagotchis, gebrannte CDs, Boy-Band-Hysterie: Willkommen im Jahr 2002, dem Jahr, in dem der neue Pixar-Film "Rot" angesiedelt ist. Hauptfigur ist eine 13-jährige, überaus selbstbewusste Schülerin aus dem Chinatown District in Toronto. Meilin, genannt Mei Mei, ist eine anstrengende Streberin. In der Schule hängt sie mit ihrer nerdigen Mädchen-Clique ab, zuhause werden Traditionen und der familieneigene Tempel gepflegt. Bis eines Nachts die kleine heile Welt von Mei Mei komplett aus den Fugen gerät: Mei Mei wacht als roter Panda auf und ist fortan ein Spielball ihrer Emotionen.
Wie schon im oscargekrönten Pixar-Film "Alles steht Kopf" thematisiert auch "Rot" den Beginn der Pubertät. In ihrem Langfilmdebüt öffnet die in China geborene Regisseurin Domee Shi zusätzlich das Tor in eine andere Welt. Asiatische Mythologie wird mit scheinbar unvereinbaren Animations-Stilen zu einem kreischbunten Teppich mit Trendpotential verwebt: Manga trifft auf Meme-Kultur, traditioneller Disney-Stil geht Hand in Hand mit Studio-Ghibli-Kunst. Für Pixar-Verhältnisse ist das Ergebnis ungewohnt, weil herausfordernd statt harmonisch. Und das ist gut so. Denn die Botschaft der Filmhandlung gilt auch für das Animationsstudio selbst: Scheinbarer Kontrollverlust ist die beste Basis für kreative Neuerfindung.
THIS MUCH I KNOW TO BE TRUE (mubi)
Wer trauert, flüchtet sich oft in Arbeit. Nick Cave – bekannt als Sänger, Schriftsteller, Schauspieler und Drehbuchautor – hatte angesichts seiner vielen Talente auch während der Lockdown-Phasen kein Problem, Zerstreuung zu finden. Kreativ, wie er ist, fand er sogar ein neues Hobby: Er begann, Keramiken anzufertigen. Sein Hauptmotiv: der Teufel. Der Werkstattbesuch, mit dem die Dokumentation "This much I know to be true" beginnt, zeigt: Nick Cave ist und bleibt der Prinz der Dunkelheit. Die privaten Einblicke in das Wirken und Denken das Musikers zeigen aber auch: Trotz aller Schicksalsschläge hat er seinen Humor nicht verloren. Zum Glück. Denn wer Nick Caves Befinden nur über die Songs deutet, die er in diesem intimen Musikfilm aufnimmt, vernimmt vor allem den tiefen Schmerz über den Verlust seines Sohnes.
Knapp sechs Jahre ist es her, dass "Blonde"-Regisseur Andrew Dominik eine Dokumentation über seinen Freund, den Musiker Nick Cave gedreht hat. "One more time with feeling" dokumentierte die Aufnahmen zum Album "Skeleton Tree", auf dem Cave den Unfalltod seines 16-jährigen Sohnes verarbeitet hat. "This much I know to be true" ist die Fortsetzung dieser Kooperation – und ein Film, der unter die Haut geht. Der Film ist ein Werk von sakraler Schönheit, in dem mit schwebender Kamera und minutiös choreografiertem Lichteinsatz ein Künstler porträtiert wird, der sein Innenleben offenlegt. Wer je die zeremonielle Sogkraft erlebt hat, die Nick Cave und seine Band bei Konzerten entfalten, wird sie in diesem Film schnell wiederentdecken.
THE ADAM PROJECT (Netflix)
Neunmalklug, mit einer viel zu großen Klappe und dem Talent, sich in Schwierigkeiten zu bringen: Wer einen ungefähren Eindruck davon gewinnen will, wie Ryan Reynolds als Zwölfjähriger gewesen sein muss, ist bei "The Adam Project" gut aufgehoben. In der Science-Fiction-Komödie spielt der kanadische Charmebolzen einen Zeitreisenden, der auf sein 30 Jahre jüngeres Ich trifft. Schnell ist klar: Das ungewöhnliche Paar muss die Welt retten. Was sonst. Viel mehr muss man über die Handlung nicht wissen. Denn der Film setzt weniger auf eine originelle Erzählung als auf Witz, Action und das nerdige Zusammenspiel der Darsteller.
"The Adam Project" bedient sich unverhohlen an Feelgood-Vorbildern jüngeren und älteren Datums. Der Soundtrack hat den Coolness-Faktor von "Guardians of the Galaxy", es gibt allerlei Referenzen von "Zurück in die Zukunft" bis "Krieg der Sterne" und die auf Familie und Zusammenhalt konzentrierte emotionale Kernbotschaft erinnert an Spielberg. Ein billiger Abklatsch ist "The Adam Project" jedoch nicht. Dafür aber die sehr herzliche Einladung, für knapp 90 Minuten den Alltag zu vergessen.
AFTER YANG (Sky)
In einer nicht näher definierten Zukunft ist Yang der menschenähnliche Hausdroide einer dreiköpfigen Familie. Während die Eltern arbeiten, kümmert er sich um die kleine Adoptivtochter, ist Babysitter, Bruder und Lehrer in einem. Als Yang eines Tages nicht mehr funktioniert, droht die Familie auseinanderzufallen. Und der von Colin Farrell dargestellte Familienvater beginnt sich zu fragen, ob der sogenannte Techno Sapiens nicht doch mehr war als eine teuer erworbene Erziehungshilfe.
Sind Androiden seelenlose Maschinen oder haben sie ein Bewusstsein? In Filmen wie "Blade Runner" oder dem Serienhit "Westworld" fällt die Antwort eindeutig aus: Künstliche Intelligenz ist definitiv zu Emotionen und in beiden Fällen zu Rachegelüsten fähig. Die Androiden in "After Yang" handeln im Vergleich dazu regelrecht kontemplativ. Das preisgekrönte Science-Fiction-Familiendrama hat einen meditativen Erzählfluss und hebt sich schon rein optisch von düsteren Dystopien à la "Blade Runner" ab. Ein Großteil der Handlung spielt in geschlossenen Räumen, in Privatwohnungen oder dem Innenraum eines selbstfahrenden Autos. Kamera und Handlung bleiben nah an den wenigen Filmfiguren, futuristische Architektur oder urbane Szenen spielen keine Rolle. Der Film konzentriert sich ganz auf Dialoge und emotionale Entwicklungsprozesse, arbeitet mit kurzen Rückblenden oder kunstvoll inszenierten Erinnerungsfetzen. Wer "Columbus" kennt, das Spielfilmdebüt von Regisseur und Drehbuchautor Kogonada, dürfte auch diesen philosophischen Exkurs mögen.
DREIZEHN LEBEN (Prime Video)
Das unter der Regie von Hollywoodregisseur Ron Howard entstandene Drama "13 Leben" handelt von der Rettungsaktion in der Tham-Luang-Höhle in Thailand: Im Juni 2018 wurden zwölf Jungen und ihr Fußballtrainer von Starkregen überrascht und in einer überfluteten Höhle eingeschlossen. An die tausend Personen aus mehr als zehn Ländern kamen damals zusammen, um die Teenager und ihren Trainer zu retten. Und obwohl die Gruppe zehn Tage nach ihrem Verschwinden auf einem Felsvorsprung im Höhleninneren lebend entdeckt wurde – die Chancen, sie durch das noch immer überflutete kilometerlange Tunnelsystem nach Draußen zu bringen, standen gleich Null.
Nüchtern, fast schon dokumentarisch erzählt Ron Howard, wie die Rettungsaktion trotz aller Widrigkeiten erfolgreich verlief. Bekannte Schauspieler wie Viggo Mortensen und Colin Farrell agieren mit einer Armada an Laiendarstellern. Howards Ziel: Die Stars nicht als weiße Retter zu inszenieren, sondern als kleinen Teil eines gigantischen Teams von Helfern aus allen Gesellschaftsschichten. Das funktioniert – trotz einiger Längen. Die werden aber durch die Tauchszenen in der zweiten Filmhälfte wettgemacht, die eindrücklich vermitteln, wie gefährlich die aufwendige Rettungsaktion für alle Beteiligten war.
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