Er war ein Protagonist der sogenannten École de Paris, also der informellen, ungegenständlichen Malerei. Als er 1973 sein letztes Atelier im, südfranzösischen Antibes in der Nähe von Cannes bezog, galt er allerdings als ausgebrannt und ideenlos. Was nur wenige wussten: Dort entstand bis zu seinem Tod im Jahr 1989 sein experimentelles Spätwerk. Im Kunstmuseum Bonn können wir jetzt diese mit Spritzpistole und Reisigbesen entstandenen Bilder bewundern.
Opfer des eigenen Erfolgs
Hans Hartung, da denkt man an die frühen Jahre der Republik, an Arnold Bode und die documenta, an schwarze Linienbündel vor monochrom farbigen Hintergründen. An diesen Bildern ging kein Weg vorbei, sie waren das europäische Fortschritts-Statement der Malerei. Dann kamen Pop und Minmal Art, und Hartung galt als Maler „von gestern“. Er stand für alles, was man schleunigst vergessen wollte.
Ich denke auch, dass er in den 50er Jahren auch so ein bisschen Opfer des eigenen Erfolges war, er hat sich da sehr oft wiederholt – wenn man diese gelinde Kritik mal formulieren darf – und erst in dem Maße, wie er so ein bisschen aus dem Fokus der Öffentlichkeit raustritt, erscheint wieder der alte Hartung, der Experimentator, der neue Wege gesucht hat. - Christoph Schreier, Kurator
Freche und junge Farben
Kurator Christoph Schreier möchte Hans Hartung aus dem Ghetto der Nachkriegskunst befreien. Das Kunstmuseum Bonn zeigt selten oder nie gezeigte Bilder aus der Hartung-Stiftung in Antibes. Eine ziemliche Überraschung. Große Formate, freche und jugendliche Farben: Gelb, Pink, Lila, Hellgrün. Und die sind aufgespritzt, aufgeblasen, aufgeschlagen mit Reisigbesen, Rechen oder Palmwedeln. Ein befreiendes Gefühl. Als hätte Hans Hartung tief durchgeatmet, mit den Armen gewirbelt, die Hände fliegen lassen.
Also da entstehen diese duftigen Bilder, die er mit Kompressoren gemalt hat. Er tritt auch von der Leinwand weg, er arbeitet nicht mehr kontinuierlich mit dem Pinsel, er sucht eben das Bild in eine Distanz zu rücken und Licht-, Farbphänomene zu produzieren, die bei ihm aber immer Bild bleiben. Aber auch im Bild ist natürlich viel Experimentelles möglich. - Christoph Schreier
Eine Bürste heißt "H17"
Experimentierlust bei einem, der schwer verletzt aus dem Zweiten Weltkrieg gekommen war, in dem er als französischer Fremdenlegionär gegen Nazideutschland gekämpft hatte. Hartung hatte ein Bein verloren, im Alter saß er im Rollstuhl, von dem aus der seine Leinwände mit dem Reisigbesen oder der Spritzpistole traktierte. Das Kunstmuseum Bonn zeigt in Vitrinen die Action-Painting-Waffenkammer: Kämme, Rechen, Bürsten, Schaber, Palmbündel.
Er hat ein Reservoir an unterschiedlichsten Utensilien gehabt, die er einfach dann mal durchnummeriert hat und hat das dann fotografiert. Und er konnte dann die Bürste H17 benennen, die er dann für sein Bild benötigt hat. Das war eine Art Systematisierung, Vorbereitung für die künstlerische Produktion, die dann aber relativ schnell vonstatten ging. - Christoph Schreier
Eruptive, dunkle Abgesänge
Manche dieser späten Bilder erinnern an aktuelle Kunstproduktion. Schlierige, zersplitternden Farbpartikeln vor blau schwebendem Grund: Fotoformate von Wolfgang Tillmanns. Wolkig aufgespritzte Farbübergänge: Katharina Grosse. Ineinander fließende Farbbänder: David Reed.
Im zentralen Saal schließlich einige Großformate, die Hans Hartung noch kurz vor seinem Tod im Jahr 1989 gemalt hat.
Man hat fast das Gefühl, es ist so eine Art Vermächtnis, was da bildnerisch formuliert wird, aber das Schöne ist, wenn man die im Raum zusammen sieht: Sie haben sehr unterschiedliches Temperament. Es gibt die zarten, die lyrischen, es gibt die aufsprühenden, eruptiven, und es gibt die dunklen Abgesänge. Also man hat im Grunde eine ganze Klaviatur an Gefühlen, die sich da zeigt. - Christoph Schreier
Energie-Ausbruch wird zum Erlebnis
Ein Maler wird von der Kunstwelt vergessen, zieht sich in sein Atelier zurück, erfindet sich neu, stürzt sich in ein Gefecht, dessen Frontlinie und dessen Einsätze er selbst bestimmt. Verschwendet sich dabei und braucht sich auf. Allein dieser Energieausbruch macht die Bonner Ausstellung zu einem Erlebnis. Da kann man nur den Hut ziehen. Auch vor dem, was malerisch dabei herauskommt.
Bis 19. August im Kunstmuseum Bonn.