Bildrechte: Matthias Horn / BE
Bildbeitrag

Andreas Döhler als Ex-Zuchthäusler Jean Valjean

Bildbeitrag
> Kultur >

Frank Castorf inszeniert Victor Hugos "Les Misérables"

Frank Castorf inszeniert Victor Hugos "Les Misérables"

Nach dem Ende seiner 25-jährigen Intendanz an der Berliner Volksbühne hat Frank Castorf nun wieder Regie geführt. Gestern Abend hatte seine Version von Victor Hugos "Les Misérables" am Berliner Ensemble Premiere. Von Sven Ricklefs

Über dieses Thema berichtet: Die Kultur am .

Das war schon ein Clou, der da dem neuen Intendanten des Berliner Ensemble Oliver Reese gelang, als er vor einigen Monaten die Verpflichtung von Frank Castorf als Regisseur ankündigen konnte. Der von der Kulturpolitik ziemlich unelegant nach 25 Jahren als Prinzipal der Berliner Volksbühne geschasste Castorf wird nun im Traditionshaus an der Spree einmal pro Jahr inszenieren. Und das in Berlin exklusiv. Klar war diese Premiere jetzt mit Spannung erwartet, in Berlin hat Castorf inzwischen geradezu unantastbaren Kultstatus erreicht. Da stellte sich bei ihm die Frage: würde er sich mit diesem Neubeginn auch neu erfinden, zu neuen Ufern aufbrechen? Nach dieser Hugoschen Literaturtheatralisierung kann man mit Fug und Recht annehmen: Nein. Das wird er nicht.

Neue Ufer für Castorf?

„Les Miserables“ ist wieder eine mit hochhysterisierten Spielerinnen und Spielern bevölkerte, jedes Zeitmaß sprengende theatrale und intellektuelle Anstrengung, die alle überfordert, die an ihr beteiligt sind, ob auf, vor oder hinter der Bühne. Und die ist wie immer ein labyrinthisches Gebäude – gebaut wie so oft von Alexander Denic - das auf der Drehbühne von allen Seiten zu bespielen ist und das mit seinen Kammern und Hinterhöfen, Läden und Abseiten viel Spielraum lässt für die auf Großleinwände projizierten Close-Up-Szenen. Wo Castorf drauf steht ist also auch weiterhin Castorf drin. Diesmal ganze 7,5 Stunden lang.

Wo Castorf drauf steht ist auch Castorf drin

Und auch sie dürfen natürlich nicht fehlen, die von Frank Castorf so viel geliebten Fremdtexte, die der sicherlich Intellektuellste unter den deutschen Regisseuren so überaus gern in seine monumentalen Inszenierungen hineinmontiert, wie hier Heiner Müllers „Der Auftrag“. Nun wäre ein Schelm, wer behaupten würde, Victor Hugos Roman „Les Misérables“ wäre mit seinen schlappen 1700 Seiten nicht per se monumental: Ein Sittengemälde des 19. Jahrhunderts par excellence, das vor dem Hintergrund des Showdowns zwischen dem zum Guten konvertierten Ex-Galeerensträfling Jean Valjean und einem gesetzesstrengen Polizeiinspektor mit seinen Figuren bis auf die Barrikaden steigt. Man kennt das aus Film und Musical vor allem.

Aber Castorf interessieren tatsächlich die Elenden und mit ihnen der Aufruhr, der Aufstand.“ Die Heimat der Sklaven ist der Aufstand, heißt es bei Heiner Müller und nun auch an diesem Abend, der sich immer wieder auch Handlungsstränge aus dem Roman "Drei traurige Tiger" des kubanischen Autors Guillermo Cabrera Infantes herbeizitiert, der im vorrevolutionären Kuba der späten 1950er Jahre spielt.

Das alles wird präsentiert von einem großartigen Ensemble, das eine Mischung darstellt aus bewährten Castorfspielern wie etwa Vera Tscheplanowa und dem neuen Ensemble des Berliner Ensembles, das zeigen kann, was für ein fulminantes Potential es hat. Sie alle können über weite Strecken vergessen machen, dass der Abend – auch das wie immer bei Castorf – so manchen auch länger andauernden Durchhänger hat, dass er in seinem Hang dazu, jedes zugelassene Pathos wieder mit Slapstick austreiben müssen, die Grenzen zur Albernheit nicht immer kennt, und dass er mit nur einer Pause bei 7,5 Stunden naturgemäß auch eine Zumutung ist. Und trotzdem: Castorf is back und Berlin hat ihn frenetisch gefeiert.