Ein Elternteil zu verlieren, zählt zu den schwersten Schicksalsschlägen im Leben. Für Scott, die Hauptfigur in Judd Apatows neuem Film "The King of Staten Island", hatte der Tod seines Vaters traumatische Dimensionen. Der Feuerwehrmann kam beim Löschen eines Hotelbrands ums Leben, Scott war damals noch ein Kind. Der Moment, in dem ihm innerhalb von Minuten die wichtigste Bezugsperson entrissen wurde, hat sein gesamtes Leben bestimmt. Scott hat die Schule abgebrochen, hat keinen Job, verbringt die meiste Zeit kiffend mit ähnlich perspektivlosen Freunden und lebt mit Mitte 20 noch immer bei seiner alleinerziehenden Mutter. Als seine jüngere Schwester auszieht, um aufs College zu gehen, kommt es zum Streit.
Ein Film mit autobiografischen Bezügen
Es ist ein ungewöhnlich ernstes Thema, das die Rahmenhandlung von Judd Apatows neuer Regiearbeit bestimmt. Noch ernster wird es mit dem Wissen, dass die Geschichte autobiografische Züge hat. Hauptdarsteller Pete Davidson, in den USA ein bekannter Comedian, war sieben Jahre alt, als sein Vater starb. Der New Yorker Feuerwehrmann kam bei den Terroranschlägen vom 11. September im einstürzenden World Trade Center ums Leben.
Viele von Davidsons persönlichen Erfahrungen sind in das Drehbuch eingeflossen, an dem er mitgeschrieben hat. Apatow hat ihm dabei geholfen, die richtige Balance zwischen Realität und Fiktion, zwischen Drama und Komödie zu finden: Als langjähriger Produzent und Drehbuchautor von Lena Dunhams Serie "Girls" hat er die nötige Sensibilität entwickelt, um junge Schauspieler durch halb-autobiografische Produktionen zu begleiten. Er kenne die Arbeitsweise sehr gut. Die Schauspieler wollen etwas von sich preisgeben und gleichzeitig eine Figur erschaffen, die ihnen nur ähnelt, erzählt Apatow im Interview: "Petes Alter Ego im Film ist weit weniger erwachsen als er, er weiß nicht, wie es weitergehen soll. Pete selbst ist extrem ambitioniert, er weiß, was er erreichen will im Leben und arbeitet extrem hart. Insofern: Ja, das ist Pete auf der Leinwand – aber vieles ist nur fiktiv!"
Hauptdarsteller Pete Davidson hat persönliche Erfahrungen ins Drehbuch eingebracht und gemeinsam mit Regisseur Judd Apatow verarbeitet
Der Blick für die Absurditäten des Lebens
Grundidee von "The King of Staten Island" war die Frage: Was wäre aus Hauptdarsteller Pete Davidson geworden, wenn er nicht den Beruf des Comedians ergriffen hätte? Entstanden ist ein intensives Coming-of-Age-Drama, das ebenso ernst wie lustig ist. Die Depressionen von Hauptfigur Scott beeinträchtigen sein gesamtes Umfeld: Seine Freundin hält er auf Distanz – nicht, weil er sie nicht liebt, sondern weil er mental zu kaputt ist und sie schützen möchte. Auch seine Mutter möchte er schützen: Als er erfährt, dass sie wieder einen Feuerwehrmann datet, versucht er die Beziehung zu boykottieren. Oberflächlich betrachtet könnte man viele Szenen als kindisch abtun. Tatsächlich aber sind sie wie so oft bei Apatow ungemein authentisch und unterstreichen seinen Blick für die kleinen Absurditäten im Leben.
70er-Jahre-Optik und temperamentvolle Schauspieler machen den Film lebendig
Anklänge an das Kino der 70er-Jahre
"The King of Staten Island" wirkt erwachsener als viele von Apatows vorausgegangenen Regiearbeiten. Ein Umstand, der nicht nur auf das Drehbuch, sondern auch auf die Kamera-Arbeit von Robert Elswit zurückzuführen ist, erklärt der Regisseur: "Er hat unter anderem 'There Will Be Blood' und 'Michael Clayton' gedreht. Mit seiner Hilfe haben wir eine Optik entwickelt, die die Atmosphäre der großen 70er-Jahre-Filme verbreitet, von Sidney Lumet oder Hal Ashby oder 'Alice Doesn't Live Here Anymore'. Der Film sollte lebendig rüberkommen, nicht wie eine Komödie. Aber anfühlen sollte er sich wie ein Drama", ergänzt Apatow.
"The King of Staten Island" zeigt mehr denn je Apatows Interesse an den Schwierigkeiten, sich durchs Leben zu schlagen. Und in der Tat erinnern Machart und Humor streckenweise an Hal Ashbys tragikomischen 70er-Jahre-Klassiker "Harold and Maude". Denn am Ende hat auch Scott gelernt: Es kommt vor allem auf eins an – das meiste aus der Zeit zu machen, die man auf dieser Erde ist.
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