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Szene aus Mormaco von der brasilianischen Regisseurin Marina Beliande

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Filmfest München: Vier Filme, die Sie nicht verpassen sollten!

Bis 7. Juli läuft das Filmfest München. Vier Kritiker*innen empfehlen vier Filme, die Sie sich anschauen sollten: "MORMAÇO" von Marina Meliande, "Alles ist gut" von Eva Trobisch, "Murer" von Christian Frosch und "Zama" von Lucrecia Martel.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Seit einigen Jahren ist das lateinamerikanische Kino wieder angesagt - die neuesten Höhepunkte sind beim Filmfest München zu sehen, zum Beispiel "Mormaco" von der brasilianischen Regisseurin Marina Beliande - der Filmtipp von Marie Schoess. Bettina Dunkel empfiehlt die eindrucksvolle Thematisisierung einer Vergewaltigung im Spielfilmdebüt von HFF-Absolventin Eva Trobisch "Alles ist gut". In die Abgründe österreichischer Nachkriegsgeschichte führt der Spielfilm "Murer – Anatomie eines Prozesses" über den Kriegsverbrecher-Prozess gegen den sogenannten "Schlächter von Vilnius" - ein Tipp von Markus Aicher. Und Moritz Holfelder empfiehlt die Retrospektive der großen argentinischen Regisseurin Lucrecia Martel - wenn nicht alle Filme dort, dann wenigstens ihren neuesten Film "Zama".

"MORMAÇO" von Marina Meliande

Wenig einladend sieht dieser Swimmingpool aus – das Wasser ist verdreckt und von Blättern übersät. Um Pool wie Haus kümmert sich schon lange niemand mehr – es gehört abgerissen, finden die Politiker in Rio, die die Stadt für die Olympiade aufhübschen und Platz für Hotels und eine touristenfreundliche Innenstadt schaffen wollen. Nur ist Ana hier zu Hause – sie harrt also in der Wohnung aus, in der mal der Strom, dann das Wasser ausfällt. Sie kämpft politisch um ihre Rechte und springt in den verdreckten Pool, als ihr alles zu viel wird – die Politik, die Hitze, die Männer. Dort, mit dem Rücken auf der Wasseroberfläche treibend, sieht sie zum ersten Mal im Film ruhig aus, fast friedlich, nicht wie die Getriebene und später Kranke, als die der Film sie sonst vorstellt. Dies ist nur eines der fein komponierten Bilder in „Mormaco“.

Der historische Hintergrund - die Olympiade in Rio und die Veränderungen des dortigen Lebens - war der Ausgangspunkt für Regisseurin Marina Meliande. Aber sie bleibt nicht dabei stehen, sondern verwebt sehr eindrucksvoll Fakt und Fiktion. Ana wird plötzlich von einer unbekannten Krankheit heimgesucht – zuerst hat sie nur wenige Flecken auf der Haut, später sieht es so aus, als sei ihr ganzer Körper von Schimmel befallen. Und so testet der Film aus, wie man die Entwicklungen der Stadt und ihrer Politik metaphorisch fassen könnte und entwickelt eine ganz eigene, spannende Ästhetik.

Von Marie Schoess

"ALLES IST GUT“ von Eva Trobisch

Nein heißt nein. Auch wenn es an dieser Aussage nichts zu rütteln gibt – die Vergewaltigungsstatistik zeigt, dass die Realität eine andere Sprache spricht. Und dass man von einem Moment zum nächsten zum Opfer werden kann. Diese Erfahrung muss auch Janne (Aenne Schwarz) machen. Gerade war sie noch auf einer Feier und konnte endlich mal wieder abschalten und den Alltag vergessen. Dann wird innerhalb von Minuten ihr gesamtes Leben auf den Kopf gestellt. Doch statt Anzeige zu erstatten oder überhaupt mit irgendwem über das Vorgefallene zu reden, macht sie dicht und versucht weiterzumachen, als wäre nichts passiert. Denn wenn Probleme nicht thematisiert werden, gibt es auch keins. Aber das ist nur Jannes Theorie. Die Praxis sieht ganz anders aus.

HFF-Absolventin Eva Trobisch beleuchtet in ihrem Spielfilmdebüt das Thema Vergewaltigung in all seinen Facetten. Wie kam es zu der Situation und vor allem: Welche inneren Kämpfe durchlebt ein Opfer, das sich partout nicht in diese Rolle drängen lassen möchte? Auch wenn die Kamera primär der Hauptfigur folgt – der Täter und sein Umgang mit der Situation sind ein elementarer Bestandteil des Handlungsverlaufs. Das geht zwar nicht so weit, dass seine Tat entschuldigt werden soll – aber es öffnet den Blickwinkel und bringt den Zuschauer über das letzte Bild hinaus dazu, das Thema oder zumindest den geschilderten Fall aktiv mitzudenken.

Von Bettina Dunkel

"MURER - Anatomie eines Prozesses" von Christian Frosch

Graz 1963. Ein angesehener österreichischer Lokalpolitiker und Großbauer - Franz Murer - steht wegen schwerer Kriegsverbrechen vor Gericht. Die Beweislage ist eigentlich erdrückend. Doch in den Zentren der Macht will man die dunklen Kapitel der eigenen Geschichte lieber endgültig abschließen. Anhand originaler Dokumente zu einem der wohl größten Justizskandale der Zweiten Republik Austria zeichnet Regisseur Christian Frosch den Fall von Franz Murer nach, der von 1941 bis 1943 als brutaler „Schlächter von Vilnius“ einer der Hauptverantwortlichen für die Tötung und Unterdrückung vieler Juden in der heutigen litauischen Hauptstadt gewesen sein soll. Murer wurde erst 1963 auf die juristische Intervention von Simon Wiesenthal hin in Österreich vor Gericht gestellt, nachdem er nach einer Gefängnisstrafe in der UdSSR im Austausch in die Steiermark zurückkehren und sein bürgerliches Leben wieder aufnehmen konnte. Überlebende der Shoa reisten damals zum Prozess in Graz an, um auszusagen und Gerechtigkeit zu erwirken – vergebens. Trotz der erdrückenden Beweislage endete die Verhandlung mit einem Freispruch.

Der beeindruckende Eröffnungsfilm der DIAGONALE 2018 erzählt nun diese Verhandlung als Kammerspiel mit vielen Sprechrollen in dichten Passagen und der stets intensive Nähe erzeugenden Kamera nach. In Hintergrundsequenzen und Parallelsträngen im Umfeld des Prozesses kombiniert Regisseur Frosch die Agitatoren – Täter/innen, Opfer, Zusehende – zu einem erschütternden Zeitbild der Post-Nazizeit, in dem, frei nach Hannah Arendt, Tatsachen so behandelt werden, als handle es sich um vernachlässigbare Meinungen. Erschreckend, wie gegenwärtig all dies erscheint und erschreckend wie einem der sehr gelungene Spielfilm mit einem herausragenden Karl Fischer als kalt-glatt Franz Murer dies verdeutlicht.

„Österreich hat keine Seele und keinen Charakter. Österreich besteht aus Tätern, Zuschauern und Opfern“ - so Regisseur Christian Frosch, der ein düsteres Resümee aus der Arbeit an seinem Spielfilm Murer – Anatomie eines Prozesses zieht. „Mich interessierte beim Murer-Kriegsverbrecherprozess weniger, zum wiederholten Male die Verbrechen des NS-Regimes nachzuerzählen, sondern genau hinzusehen und zu verstehen, wie sich die vom Wesen her grundsätzlich verschiedenen Gruppen (Täter, Opfer und Zusehende) in der Republik Österreich darstell(t)en. Das Spannende ist, dass man hier sehen kann, wie das österreichische Nationalnarrativ funktioniert(e). Es basiert keineswegs auf Verdrängung. Es wurde bewusst gelogen, verschleiert, verbogen und gesteuert. Nur so konnte man Täter zu Opfern machen und die Opfer zu den eigentlich Schuldigen erklären“. Das Ergebnis ist ein klug konstruierter Film, dem es gelingt weit über die beklemmende Kammerspielatmosphäre hinaus Historisches in den aktuellen Kontext zu setzen. Sehenswert!

Von Markus Aicher

"ZAMA" von Lucrecia Martel

Es gewittert. Drinks werden eingeschenkt. Menschen in Badeanzügen ziehen Gartenstühle über die Terrasse. Eiswürfel klirren in den Gläsern. Die Hitze drückt. Mit der Anfangsszene ihres Kinodebüts „La Ciénaga“ hat Lucrecia Martel 2001 das argentinische Kino erneuert. Mit ihr tauchten um die Jahrtausendwende neue Erzählformen auf. Wo vorher eher konventionell inszeniert wurde, da kam plötzlich eine junge Frau daher, die Filme ohne konkreten Plot drehte, impressionistisch, aber ungemein präzise die Stimmungen eines Landes einfangend. Der Zuschauer erlebt in „La Ciénaga“ fast physisch den maroden Zustand der argentinischen Gesellschaft. Im selben Jahr, in dem der Film entstand, ging Argentinien Bankrott. Die wirtschaftlichen Verhältnisse sind seitdem wieder besser, aber Rassismus, Machismus und eine spezielle Form von Apathie lähmen das Land nach wie vor.

Davon handeln alle Arbeiten von Lucrecia Martel – auch ihre neue, „Zama“, der jetzt beim Filmfest zu sehen ist und bereits nächste Woche ganz regulär in die deutschen Kinos kommt. Darin erzählt Martel von einem Kolonialbeamten der spanischen Krone in der argentinischen Provinz, von einem Mann, der seit Jahren auf seine Versetzung wartet. „Zama“ ist eine unheilvolle Reise zu den Wurzeln des Rassismus – ein fiebernder Film, der mit hypnotischen Szenen an Klassiker wie Werner Herzogs „Aguirre, der Zorn Gottes“ erinnert.

Lucrecia Martels Werke sind rätselhaft, sehr sinnlich und hemmungslos subjektiv. Wenn man eines von ihnen gesehen hat, kann es passieren, dass man süchtig wird.

Von Moritz Holfelder