Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Fernbus Richtung Füssen: "Mythos Bayern" in Ettal

Die Bayerische Landesausstellung in Kloster Ettal dreht sich um die "Marke" Bayern und den Mythos von frommer Idylle, der mit der Realität wenig zu tun hat. Die Monarchie hat nur als Märchen Fans, eine Badewanne ist dafür Zeuge. Von Thomas Willmann.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Offiziell hat Bayern 70.550 Quadratkilometer, sieben Regierungsbezirke und knapp 13 Millionen durchaus bunt gemischte Einwohnerinnen und Einwohner. Aber auf dem Weg nach Kloster Ettal, im Fernbus Richtung Füssen, kann man bereits den "Mythos Bayern" in Aktion beobachten. Vom Asphaltgraben des Mittleren Rings bis weit die Autobahn hinaus blenden die chinesischen und amerikanischen Touristen aus, was vor den Fenstern vorbeizieht. Da schauen sie sich lieber Neuschwanstein schon mal auf dem Smartphone an. Erst ab Murnau, wo die Wolken malerisch mürrisch in den Bergen hängen, wenden sich die Augen und Handykameras allmählich nach draußen. Erst da beginnt, was die Wahrnehmungsfilter als "Bayern" passieren lassen.

Fantasie von "Bayern"

Es ist eine treffliche Illustration einer der Kernthesen der Landesausstellung: Dass nämlich der reale Freistaat und das, was der Begriff "Bayern" weltweit in den Köpfen hervorruft, zwei sehr unterschiedliche Phänomene sind. Diese Fantasie von "Bayern" hat sich - sorry, liebe Schwaben und Franken! - sehr selektiv eine Handvoll Aspekte von Oberbayern herausgepickt, ein paar gar hinzugedichtet. Und steht nun als fertige Kulisse im Fundus des kollektiven Bewusstseins.

3000 Jahre alter Einbaum

Nun ist der Ausstellungstitel "Mythos Bayern" durchaus zweigesichtig. Es wollen Honoratioren und Sponsoren beschwichtigt und befriedigt sein. Vier Lodenjanker, eine Kutte und nur ein Anzug begrüßen zum Beispiel die Presse zur Vorabbesichtigung - wohl in etwa ein Bild für das Verhältnis von folkloristisch staatstragend und akademischen Interessen. Es will ein Massenpublikum angelockt werden. Da haben die Verantwortlichen gewiss nichts dagegen, wenn man "Mythos" emphatisch, affirmativ lesen kann. Zumal sie in der Ausstellung schon auch die Sehnsucht nach dem wohligen Schauder des Auratischen bedienen: Ein 3000 Jahre alter Einbaum; eine Badewanne, in der königliche Leiber planschten - da haucht einen Geschichte an!

"Marke" Bayern

Eigentlich aber geht es weniger ums Zelebrieren, sondern ums Analysieren. Um die andere Lesart von "Mythos": Jene von Menschen gebastelten Geschichten, die man über die Unordnung der realen Welt stülpt. Man interessiere sich dafür, wo denn dieses mythische "Bayern" herkomme, sagt Projektleiterin Margot Hamm. Und so stehe ganz bewusst im Zentrum der Ausstellung das 19. Jahrhundert. Denn da erst wird der Mythos - oder man könnte wohl noch treffender sagen: die Marke - "Bayern" recht eigentlich erfunden.

Urtümliche, fromme Idylle

Sie ist eine Projektion der Städter. Erst als die Fabrikschlote und Dampflokomotiven schmauchen, die Straßenbahnen durch die vollgedrängten Straßen bimmeln, da sehnt man sich nach einer verloren geglaubten Unschuld. So wie die Liebe zur Monarchie so recht erst entflammt, als diese nur noch Märcheninszenierung ist. Man fantasiert sich eine vermeintlich urtümliche, fromme Idylle. Und sucht sie am Alpenrand. Man verdrängt, was man dort an harter Arbeit, Entbehrung, Aberglauben und Modernisierung findet. Deutet die furchteinflößende, todbringende Natur um zum erhabenen Abenteuerspielplatz.

Zugspitz-Gipfel und Kruzifix

Als erstes erklimmt bezeichnenderweise Joseph Nauss den Zugspitzgipfel - aus Pflicht. Er ist bayrischer Vermessungsbeamter, mit Diensthut und Steigeisen. Reizvoll wird die Wildheit der Natur erst, sobald sie gebändigt ist. Der Mythos entsteht auf den Überresten der Wirklichkeit. Die bürgerlichen Städter erfinden Bauerntheater, kuratieren Tracht, formen Volksmusik. Erdichten sich "Heimat". Die Landesausstellung demonstriert sehr schön, wie diese Marke "Bayern" sehr früh zum Exportartikel wird. "Das bayerische Hochland ist fashionable geworden", befindet man bereits 1846. Im Akkord gepinselte Genreszenen verschiffen die Münchner Galerien nach New York oder Stockholm. In Oberammergau hat man die grob geschnitzten Kruzifixfiguren im praktischen Dutzendpack verkauft, lang bevor bayrische Behörden da als Deko für identitätspolitisches Bauerntheater Bedarf hatten.

Trachtenboutique und Großhotel

Sobald aber die Touristen strömen, und mit ihnen das leicht verdiente Geld, schlägt die Sache eine Volte: Das "Bayern", welches ihnen weitgehend die Stadtbürger auf Leib und Landschaft erfunden haben, wird nun von der Landbevölkerung brav performt. Man kleidet sich, jodelt und kraxelt, wie das neue Ideal es diktiert. Die Ausstellung zeige die Theorie, sagt der Direktor des Hauses der bayerischen Geschichte Richard Loibl. Doch sobald man sie verlasse, stehe man im Werdenfelser Land mitten im Mythos Bayern. Nun ja. Sagen wir so: Man tritt auf die Bühne, wo mit lüftelbemalten Großhotels, Herrgottsschnitzern und Trachtenboutiquen noch immer diese Fantasie von "Bayern" aufgeführt wird.