#IchBinHanna – unter diesem Hashtag teilen Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler auf Twitter seit einem Jahr ihre Erfahrungen im Unibetrieb. Und der Tenor ist einhellig: Wer Wissenschaft macht, der lebt prekär. Halbe Stellen, Kettenverträge, Überstunden und am Ende – nach 15, 20 Jahren im System – womöglich das Nichts, keine Professur, kaum Alternativen. Normalität an deutschen Hochschulen.
Ampelkoalition für Verbesserung der Arbeitsbedingungen
Der Ruf der vielen Hannas wurde auch in Berlin gehört. Im Koalitionspapier hat die Ampel sogar festgeschrieben, dass das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) reformiert werden muss – jenes Gesetz, das befristete Beschäftigung in der Wissenschaft überhaupt erst möglich macht. Das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung (BMWF) hat die beteiligten Akteure deshalb gebeten, Reformvorschläge zu machen. Und das hat die Debatte nochmal richtig in Gang gebracht. Insbesondere die Ideen der Hochschulrektorenkonferenz (HRK).
"Absurd", "zynisch", sogar "wissenschaftsfeindlich" – auf Twitter war ordentlich Stimmung als letzte Woche bekannt wurde, wie sich die HRK die Reform des WissZeitVG vorstellt. HRK-Präsident Peter André Alt zeigt sich davon wenig überrascht. Die Debatte werde nun mal hitzig geführt. "Da muss man mit solchen Reaktionen rechnen."
Für moderate Anpassungen des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes: Peter André Alt, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz
Befristungsquote von 80 Prozent
Im Fokus der Debatte steht die Befristungspraxis an den Hochschulen. Etwa 80 Prozent der wissenschaftlichen Angestellten sind davon betroffen, das hat die jüngste Evaluation durch das Ministerium ergeben. Viel zu viel – auch für Bettina Stark-Watzinger. "Wir wollen erreichen, dass die Befristungsquote sinkt", so die Ministerin bei der Vorstellung der Studienergebnisse, "vor allem bei den Promovierten."
Was also tun? Hier kommen die Vorschläge der HRK ins Spiel. Neben einer Mindestlaufzeit für Promotionen sehen sie vor allem eine Veränderung vor: Statt bislang zwölf, sollen Angestellte in Zukunft maximal zehn Jahre lang befristet beschäftigt werden können. Der Zeitrahmen für Promotion und Habilitation verkürzt sich also. Alt spricht davon, man wolle dadurch früher "Weichen stellen". Die Idee: Wer mit 25 seinen Master macht, weiß spätestens mit 35, ob’s was wird mit der akademischen Karriere.
Rektorenkonferenz will Qualifikationszeit verkürzen
Das sorge für mehr Klarheit, heißt es aus der Rektorenkonferenz. Der Flaschenhals werde einfach nach vorn verlegt. Ob zugunsten oder auf Kosten des wissenschaftlichen Nachwuchses, ist allerdings umstritten. "Zynisch" nennen viele den Vorschlag auf Twitter: #Fastfoodscience. Man erhöhe einfach den Zeitdruck für jene, die sowieso schon prekär beschäftigt seien.
Auch Kristin Eichhorn, sieht den Vorschläge der HRK kritisch: "Viele Leute haben Kurzzeitverträge, Teilzeitstellen, Phasen der Arbeitslosigkeit oder Stellen, auf denen Sie sich eigentlich gar nicht qualifizieren können, sondern sehr viel Lehre machen müssen. Dann ist klar, dass das alles sehr viel länger dauert." Die habilitierte Literaturwissenschaftlerin, derzeit Vertretungsprofessorin in Stuttgart, hat die Aktion #IchBinHanna mit ins Leben gerufen. Ganz so hart wie viele Stimmen auf Twitter, geht sie mit der HRK allerdings nicht ins Gericht. Ihr Hauptkritikpunkt: Die Vorschläge seien letztlich Makulatur. "Eigentlich sind das Vorschläge, die keine systemische Veränderung bringen."
"Keine systemischen Veränderungen": Die Literaturwissenschaftlerin Kristin Eichhorn sieht die Vorschläge der HRK kritisch
Mehr Klarheit ja, mehr Stellen nein
Genau die scheint die HRK aber auch gar nicht im Sinn zu haben. Statt auf Disruption setzt man auf moderate Korrekturen. Denn: Man sieht sich längst auf dem richtigen Weg. Der entscheidende Schritt in die Zukunft der Universität sei die Einführung sogenannter Tenure Tracks nach amerikanischem Vorbild gewesen, so Peter André Alt – also von Postdoc-Stellen, die mit mehrjährigem Vorlauf auf die Professur führen. Dadurch würden wissenschaftliche Karrieren besser planbar. Er erwarte, dass binnen zehn Jahren alle Professuren in Deutschland auf diesem Weg besetzt würden. "Ich betrachte das als einen wirklichen Kulturwandel."
Bedeutet erneut: Mehr Klarheit ja – mehr Stellen nein. Der Flaschenhals verschiebt sich nochmal nach vorne. Weiter wird er wieder nicht. Aber bleibt man damit nicht hinter den Vorstellungen der Ministerin zurück, die doch ausdrücklich mehr feste Stellen "vor allem bei den Promovierten" fordert? Alt ziert sich ein wenig an diesem Punkt. Man muss schon zweimal nachfragen, um eine immer noch diplomatische Antwort zu bekommen. Die Zahl der Stellen, die die Hochschulen unbefristet zur Verfügung stellen könnten, sei endlich, betont der Präsident der HRK. "Wir haben das statistisch überprüft. Die Fluktuation ist sehr gering. Wer sie mit 40 erhält, verbleibt bis zur Verrentung 25 Jahre auf dieser Stelle. Das bedeutet, wir müssten tatsächlich deutlich im budgetären Bereich aufwachsen, um mehr solcher Stellen zu bieten."
Budgetfragen: Mehr Geld oder Umverteilung
Und genau hier liegt das Problem – Stichwort Föderalismus. Für die Grundfinanzierung der Hochschulen sind im Wesentlichen die Länder zuständig. Alts Vorsicht hat also einen guten Grund. Denn auch wenn der Bund Vorgaben macht – die erfolgreiche Umsetzung hängt von den Verhandlungen der Hochschulen mit den Ländern ab. In einem Kommentar hat der Wissenschaftsjournalist Jan-Martin Wiarda darauf hingewiesen, dass die HRK eben auch von der Politik abhängig sei, die "zum Teil populistisch bessere Arbeitsbedingungen beschwört und von den Hochschulleitungen verlangt, die geforderten Bemühungen aber finanziell kaum unterstützt".
Kristin Eichhorn ist indes der Überzeugung, dass eine mutige Reform des WissZeitVG nicht am Budget scheitern muss. Ihre Forderung: Die Geltung des Gesetzes auf die Promotionsphase einschränken. Die Hochschulen könnten dann Stellen für Promovierte nicht mehr so leicht befristen wie bisher. Ohne die Schaffung von mehr Stellen wäre das allerdings nicht zu haben. Ihr Vorschlag lautet daher: Umverteilung. Momentan werde das vorhandene Geld falsch eingesetzt. "Es gibt einen starken Fokus auf Promotionsstellen, was dazu führt, dass die Gelder sehr stark in diesen Bereich fließen und dann für die Finanzierung von Stellen nach der Promotion entsprechend fehlen." Flaschenbauch verkleinern, Flaschenhals erweitern – so könnte man den Vorschlag von Kristin Eichhorn auch zusammenfassen.
Mehr geht nicht?
Die Karten liegen nun also auf dem Tisch. Und der steht im Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung. Bis Ende des Jahres will man die Reform des WissZeitVG beschließen. Die unterschiedlichen Vorschläge miteinander zu versöhnen ist jetzt Aufgabe von Ministerin Bettina Stark-Watzinger. Leicht wird sie nicht. Dass sich der Mittelbau mit den momentanen Vorschlägen der HRK zufrieden gibt, ist nicht zu erwarten. "Viel mehr geht nicht", schreibt Anja Steinbeck, Rektorin an der Uni Düsseldorf in der aktuellen ZEIT. Ohne ein bisschen mehr geht vermutlich auch nichts.

Hier geht's zum Beitrag aus der Bayern 2 kulturWelt
Verpassen war gestern, der BR Kultur-Newsletter ist heute: Einmal die Woche mit Kultur-Sendungen und -Podcasts, aktuellen Debatten und großen Kulturdokumentationen. Hier geht's zur Anmeldung!
Die tägliche Dosis Kultur – die kulturWelt als Podcast. Hier abonnieren!