Ist Peter Tschaikowski (1840 - 1893) etwa gar kein Russe, wie die meisten bisher dachten? Jedenfalls bemüht sich der Akademische Rat der Musikhochschule von Kiew nach Kräften, den berühmten "Schwanensee"- ,"Nussknacker"- und "Dornröschen"-Komponisten zum Ukrainer zu erklären. Grund dafür: Maßgebliche nationalistische Kreise in Kiew drängen darauf, dass sich die örtliche Akademie schnellstens umbenennt, denn der Name Tschaikowskis werde von vielen Ukrainern wie ein "Brandzeichen auf der Haut eines Sklaven" empfunden.
"Tschaikowski Markenzeichen des russischen Faschismus"
"Indem wir diesen Namenstitel beibehalten, zählen wir uns, ob wir wollen oder nicht, zur Einflusszone Moskaus, zum Randbezirk des rassistischen Imperiums", schimpft Musikhistoriker Juri Tschekan im Interview mit der regierungsamtlichen "Ukrinform"-Website: "Und zwar deshalb, weil der russische Faschismus Tschaikowski zu seinem kulturellen Markenzeichen gemacht hat. Jede Assoziation mit ihm zieht die Ukraine, die ukrainische Kultur zurück in die 'brüderliche Umarmung' der Menschen, die uns verachten, die uns vergewaltigen und zerstören, die das Ziel dieses Krieges als Völkermord festlegen."
"Er war gar kein Russe"
Doch an der Spitze des Konservatoriums sehen es viele anders. Bei einer Vollversammlung des Akademischen Rats am 16. Juni stimmte die Mehrheit für die Beibehaltung des bisherigen Namens: "Regierungen und Armeen können kämpfen, aber Kulturen können niemals gegeneinander kämpfen. Sie können miteinander konkurrieren oder sich gegenseitig bereichern", gab Aufsichtsrat und prämierter "Volkskünstler" Jurij Rybtschynskyj (77) zu bedenken: "Tschaikowski gehört wie Shakespeare, wie Jeanne d'Arc, wie Christus nicht einer bestimmten Nation an, sondern der ganzen Welt. Ethnisch gesehen war Peter Tschaikowski kein Russe: Sein Vater stammte aus einer Familie Saporoger Kosaken, seine Mutter war Französin. Peter Iljitsch behandelte die Ukraine mit unglaublicher Liebe. Ein Beweis dafür ist seine Musik, die auf ukrainischen Melodien basiert, sowie seine Worte: 'Ich kannte geniale Menschen, aber ich kannte auch eine Nation von Genies - es sind die Ukrainer!'"
Chinesen schätzen das "Pathos" von Tschaikowski
Andere forderten, den berühmten, von der russischen Regierung subventionierten Tschaikowski-Wettbewerb künftig in der Ukraine stattfinden zu lassen. Die Veranstaltung findet bisher alle vier Jahre in Moskau und St. Petersburg statt, vor allem die Klavier-Sparte gilt als internationaler Gradmesser künftiger Star-Pianisten. Die ukrainische Historikerin Valeria Scharkowa behauptete, der Komponist sei Mitbegründer des Kiewer Konservatoriums gewesen und habe die Ukraine als seine "Heimat" betrachtet. Hier habe er auch die meisten seiner Werke verfasst.
Doch auch rein wirtschaftliche Gründe sprechen nach Auffassung von Stefania Oliynyk von der Lemberger Oper gegen eine Umbenennung der Uni: Sie ziehe "wie ein Magnet" chinesische Studenten an, die das "Pathos" schätzten, in einer Institution zu lernen, die nach Tschaikowski benannt ist. Außerdem sei es natürlich billiger, in Kiew zu studieren als in Moskau.
Kulturminister: "Studenten, nutzt eure Rechte"
Der ukrainische Kulturminister Oleksandr Tkatschenko hielt sich zunächst bedeckt und sagte: "Der Krieg hat viele Fragen in unserer Gesellschaft aufgeworfen, deren Antworten nicht immer eindeutig sind. Das Ministerium für Kultur und Informationspolitik der Ukraine ist nicht berechtigt, Entscheidungen über die Umbenennung von Institutionen zu treffen. Laut Gesetz haben sie auch in diesen Angelegenheiten eine weitgehende Autonomie. Aber ich fordere nachdrücklich, dass die Prozesse, die alle an der Bildung Beteiligten betreffen, in Übereinstimmung mit dem Gesetz und unter Berücksichtigung der Ansichten aller Betroffenen durchgeführt werden. Die Studierenden sind an der Entscheidungsfindung in Bezug auf die Institution, an der sie studieren, voll beteiligt. Also, Studenten, kennen und nutzen Sie Ihre Rechte, und Leiter von Institutionen – hören Sie zu."
Wer kennt Boris Ljatoschynskyj?
Die Verfasser einer Petition für eine Umbenennung nennen mehrere ukrainische Komponisten, die ersatzweise als Namenspatron in Frage kämen: Simeon Pekalytsky zum Beispiel, ein Chorleiter aus dem 17. Jahrhundert, oder Boris Ljatoschynskyj aus dem 20. Jahrhundert. Auch Mykola Lyssenko, der im 19. Jahrhundert berühmt war, wird genannt, doch dessen Namen trage schon die Musikakademie in Lemberg. Ob die erwähnten Komponisten allerdings in China einen ähnlichen Klang wie Tschaikowski haben, ist doch sehr zu bezweifeln.
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