Bei einem Treffen am 5. Juni 2025
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Wladimir Medinski (links) am Tisch mit Putin

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"Er ist zu direkt": So blamierte sich Putins Chefunterhändler

"Er ist zu direkt": So blamierte sich Putins Chefunterhändler

Präsidentenberater Wladimir Medinski leitet die russische Verhandlungsdelegation in den Gesprächen mit der Ukraine. Jetzt empörte der "Historiker" seine eigenen Landsleute und sogar Propagandisten: "Er hat den außenpolitischen Test nicht bestanden."

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Es könnte besser laufen für Wladimir Medinski. Der Kreml-Ideologe und Präsident des russischen Schriftstellerverbandes, der sich gern mit der Überarbeitung von Schulbüchern befasst und den Nato-Generalsekretär Mark Rutte darüber belehrte [externer Link], dass es die Ukraine im 12. Jahrhundert angeblich noch gar nicht gegeben habe, sieht sich jetzt herber Kritik im eigenen Land ausgesetzt. Grund dafür: ungeschickte Interviews.

"Vergleich unangebracht"

Gegenüber dem Propaganda-Sender RT ("Russia Today") hatte Medinski wörtlich gesagt: "Wenn wir den [Ukraine-]Konflikt an der Frontlinie beenden und uns nicht auf einen echten Frieden verständigen, sondern nur eine Art Waffenstillstand abschließen, dann wird sich das – wissen Sie, es gab mal eine umstrittene Region zwischen Armenien und Aserbaidschan namens Berg-Karabach – in ein riesiges Karabach verwandeln."

Prompt meldete sich das aserbaidschanische Außenministerium zu Wort [externer Link]. Der Vergleich sei unangebracht und es sei "beunruhigend", dass Medinski die Positionen seines eigenen Landes nicht kenne: "Überraschenderweise ist sich Medinski nicht bewusst, dass Karabach nie ein umstrittenes Gebiet war. Wir möchten daran erinnern, dass Karabach ein alter und integraler Bestandteil Aserbaidschans ist."

"Aus dem Zusammenhang gerissen"

Medinski solle aufhören, Russlands internationale Beziehungen zu "schädigen", hieß es aus Baku, immerhin habe Russland Karabach als aserbaidschanisches Territorium offiziell anerkannt. Das russische Außenministerium sah sich gezwungen, diese Darstellung zu bestätigen [externer Link] und stellte Medinski damit öffentlich bloß. Dessen Aussage sei "aus dem Zusammenhang gerissen" worden.

"Dämonen außer Kontrolle geraten"

Das ist politisch äußerst heikel, weil Russland fürchten muss, im Kaukasus an Einfluss zu verlieren und daher gut beraten wäre, jede Irritation zu vermeiden: "Es ist äußerst unbequem, sich jetzt mit Aserbaidschan zu streiten. Das Land hat eine so günstige Lage im verletzlichen Unterleib unseres Heimatlandes", hieß es dazu in einem russischen Leserkommentar [externer Link]. Früher seien nicht die Worte, sondern die Zunge herausgerissen worden, bemerkte ein weiterer sarkastisch.

Bei russischen Polit-Bloggern und Ultranationalisten stieß der Vorgang auf ein höchst geteiltes Echo: "Anstatt mit territorialen Anerkennungen um sich zu werfen – und das ist in der gegenwärtigen Situation ein sehr wertvolles geopolitisches Gut – sollte Aserbaidschan mindestens die Krim als russisches Territorium anerkennen", fauchte Kommentator Juri Barantschik [externer Link].

Einer der tonangebenden Militärblogger reagierte ähnlich wütend [externer Link]: "Wenn die dort weiter herumkläffen, wird es in Aserbaidschan bald noch viele weitere umstrittene Gebiete geben. Wissen Sie, die Dämonen sind außer Kontrolle geraten. Sie haben gelernt zu knurren. Vergessen Sie nicht, dass jeder, der Russland anknurrt, danach meist noch lange jammert."

"Spiegelt unterbewusste Ängste wider"

Der russische Politologe Maxim Scharow meinte dagegen lakonisch [externer Link]: "Sollte irgendjemand Medinski in der Außenpolitik prüfen wollen, wird er diesen Test nicht bestehen. Er ist zu direkt, und das ist in der Diplomatie unerwünscht."

Dmitri Drise, Kolumnist des Wirtschaftsblatts "Kommersant", fragte sich [externer Link], ob Medinski womöglich einen geheimen Grund gehabt habe für seine umstrittene Äußerung. Im Übrigen sei er durch ungeschickte Bemerkungen schon häufiger mit den Regierungen von UdSSR-Nachfolgestaaten aneinander geraten.

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Ein weiterer Beobachter unterstellte Medinski eine Art Freudschen Versprecher [externer Link]: "Moskau klammert sich mit aller Kraft an den 'Siegeswillen' in einer ermüdenden und sinnlosen Konfrontation: Es ist notwendig, wenigstens irgendwelche Territorien zu ergattern, um das Gesicht zu wahren. Die Erwähnung von Karabach spiegelt auch unterbewusste Ängste wider, nach dem Motto 'wir müssen später alles wieder zurückgeben'."

"Anti-Science-Fiction"

Damit nicht genug: In einem Gespräch mit dem "Wall Street Journal" hatte Medinski von einem "Bruderkrieg" zwischen Ukrainern und Russen gesprochen. Beide Länder seien eigentlich dazu bestimmt, "Verbündete" zu sein. Das bezeichnete der russische Politologe Jewgeni Michailow [externer Link] als "Anti-Science-Fiction": "Die Ukraine wurde als Russisch-Pakistan gegründet; es ist schwer vorstellbar, dass Pakistan jemals ein verlässlicher Verbündeter Indiens wird; dafür wurde es nicht geschaffen. Dasselbe gilt für die Ukraine."

Der kremlkritische Politologe Andrei Kalitin erinnerte in diesem Zusammenhang [externer Link] ironisch an ein russisches Sprichwort aus dem 16. Jahrhundert: "Solange er dich prügelt, liebt er dich." Moskau habe in den letzten drei Jahren alles getan, um zu verhindern, dass die Ukraine ein Verbündeter werde: "Zu Medinskis Lebzeiten wird das sicher nicht passieren."

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