Bildrechte: Jochen Quast/Theater Regensburg
Bildbeitrag

An der Koks-Linie

Bildbeitrag
> Kultur >

Elefantöser Puccini-Trip: "Edgar" in Regensburg

Elefantöser Puccini-Trip: "Edgar" in Regensburg

Wüst, grobschlächtig, kitschig und laut: Puccinis Frühwerk von 1889 hat einen schlechten Ruf, ist aber als trashiges Melodram das Stück der Stunde. Ein Gleichnis auf die sinnentleerte, kaputte, süchtige Gesellschaft. Nachtkritik von Peter Jungblut.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Diese Oper macht garantiert jeden fertig - außer Giacomo Puccini, der haderte mit seinem Frühwerk "Edgar" zeit seines Lebens, schrieb es mehrfach um, verschlimmbesserte da und dort und ließ es irgendwann entnervt liegen. Seitdem traute sich kaum jemand ran, denn Handlung und Musik sind selbst für Puccinis Verhältnisse dermaßen reißerisch und grell, dass damit locker ein paar Staffeln Vorabendserien zu füllen wären. Oder, wie im Programmheft des Regensburger Theaters zu lesen war, diese Oper ist von "elefantenhafter Subtilität" - und zwar so elefantös, dass schon im ersten Akt die Logik zu Bruch geht und sich spätestens ab dem zweiten keiner mehr traut, Fragen zu stellen.

Puccini mit Suchtpotential

Doch ein Publikum, das Trashfilme, B-Pictures und Telenovelas hinter sich hat, kann das alles nicht schrecken, zum Glück, denn Regisseur Hendrik Müller machte aus "Edgar" in Regensburg einen dermaßen rasanten Puccini-Trip, dass mindestens soviel Suchtpotential wie bei "Game of Thrones" besteht. Angefixt war schon der Regensburger Intendant Jens Neundorff von Enzberg, als er zufällig im Radio Ausschnitte aus "Edgar" hörte - das reichte ihm, um sich die umkämpften Rechte an der deutschen Erstaufführung von Puccinis wild bewegter, ja explosiver und frisch rekonstruierter Urfassung von "Edgar" zu sichern. Demnächst greift auch die Mailänder Scala zu, und nach der Regensburger Premiere lässt sich sagen: Mit Recht, denn Puccini bestätigt mit diesem Werk aufs Unterhaltsamste alle Vorurteile, die Nörgler seit eh und je gegen ihn vorbringen.

Irre, bigott, laut und instinktgesteuert

"Edgar" ist seicht, irre, bigott, lauter als 85 Dezibel, triefend sentimental und appelliert an die niedersten Instinkte des Publikums, aber wenn das ein Regie-Profi wie Hendrik Müller in die Hand nimmt und das alles als aberwitzige Mischung aus Melodram und Splatter-Film zeigt, gelingt eben doch ein fulminanter Abend. Ausstatter Marc Weeger hatte ein paar gruselig hässliche Räume entworfen, wie sie in trostlosen amerikanischen Provinzstädten vor sich hin bröseln. Die Leute betäuben sich mit Heroin, saufen und koksen, berauschen sich an billigem Show-Flitter und fuchteln gern mit Schnellfeuergewehren.

Fast immer dreht einer durch

In so einer abgeranzten Kulisse von heute macht Puccinis trashige Geschichte vom einsamen Trinker Edgar, der sich nicht zwischen einer guten und einer bösen Frau entscheiden kann, plötzlich wieder Sinn. So interpretiert, als bissiges Requiem auf eine total sinnentleerte, kaputte Gesellschaft, wird aus eigentlich unerträglichem Kitsch ein irritierend drastisches, bewegendes Gleichnis. Mindestens knietief watete der unerschrockene und tapfere Dirigent Tetsuro Ban durch die zuckersüße Partitur, in der zuverlässig der Kinderchor seinen Auftritt hat, wenn Herzschmerz gefragt ist, in der fromme Gesänge erschallen, wenn sich wieder mal eine Sünde ankündigt und das Orchester entfesselt tost und rast, sobald jemand durchdreht, also fast immer.

Brachiales Vergnügen

Der junge Puccini schaute sich bei Verdi, Wagner und Berlioz allerhand ab, ohne das alles damals, 1889, freilich schon sortieren zu können. So klingt das nach zahlreichen seiner späteren, reiferen Werke, etwas "Boheme" und "Tosca", etwas vom "Mädchen aus dem Goldenen Westen" und von "Turandot", aber eben noch allzu kalkuliert, gewollt, bemüht, mal unfreiwillig komisch, mal von dröhnender, fast roher Gewalt. Zum brachialen Vergnügen wurde das nicht zuletzt durch die spielfreudigen Sänger, allen voran dem robusten und erfrischend unbekümmerten Yinjia Gong in der Titelrolle.

Kurvenquietschender Puccini

Schauspielerisch noch emsiger und mitreißender waren Vera Egorova-Schönhöfer als diabolische Bar-Dame Tigrana und Anikó Bakonyi als hochschwangere "Trauerweide" Fidelia. Seymur Karimov gab einen martialischen Sheriff, natürlich mit Macho-Tolle. Vor der Lautstärke von "Edgar" wird in Regensburg übrigens gewarnt - es würde nicht wundern, wenn es bei soviel kurvenquietschendem Puccini bald hieße: "Bitte anschnallen".

Wieder am 30. April, sowie 3. und 29. Mai, sowie weitere Vorstellungen.