Bildrechte: Ruth Walz/Bayerische Staatsoper

Unter Versehrten: Jonas Kaufmann als Parsifal

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Eine Wunde mehr: Buhs für minimalistischen "Parsifal" in München

Der Künstler Georg Baselitz war für das Bühnenbild verpflichtet worden, Pierre Audi inszenierte, Weltstars wie Jonas Kaufmann sangen: Zur Eröffnung der Münchener Opernfestspiele waren die Erwartungen sehr hoch. Nachtkritik von Peter Jungblut.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Mag sein, dass es heutzutage noch ein paar Leute gibt, die "erlöst" werden wollen, vom Finanzamt, von Jogi Löw, von Angela Merkel, von wem auch immer. Doch die "Erlösung" war schon mal mehr in Mode, zu Richard Wagners Zeiten, im 19. Jahrhundert, als die Religion nicht mehr und die Psychologie noch nicht ernst genommen wurden, als die öffentliche Moral noch streng und die privaten Sitten schon locker waren. Wagner, der bekanntlich finanzielle wie emotionale Grenzen ignorierte, war geradezu besessen von Erlösung und lässt seinen "Parsifal" folgerichtig mit einem Ausrufezeichen enden: "Erlösung dem Erlöser!" - was das heißt, hat bisher keiner zweifelsfrei herausgefunden.

Baselitz wollte "schwarzen Kasten"

Lässt sich das heute, 136 Jahre nach der Uraufführung, überhaupt noch angemessen bebildern? Georg Baselitz, einer der bekanntesten und gefragtesten deutschen Künstler, ist da skeptisch und schlug in einem Interview vor, den "Parsifal" einfach in einen "schwarzen Kasten" zu verlegen, damit sich die Zuschauer ihre eigenen Vorstellungen von der überwältigenden Musik machen können. Das wäre sozusagen eine "Erlösung" von äußeren Bildern gewesen, um innere Bilder herauf zu beschwören. Doch dann ließ sich der Opernfan Baselitz doch noch überzeugen, ein paar Skizzen zum schwierigen "Parsifal" anzufertigen.

"Arbeitsverweigerung" des Regisseurs

Klar, der prominente Name sorgt für Aufmerksamkeit. Das war schon vor fünf Jahren so, als Baselitz in Chemnitz ein aufsehenerregendes, aber wenig wirkungsvolles Bühnenbild für die Oper "Le Grand Macabre" entwarf, eine böse Satire von György Ligeti. Und auch gestern Abend an der Bayerischen Staatsoper stieß Baselitz nicht nur auf Zustimmung, ganz im Gegenteil. Es gab neben Beifall lautstarke Proteste aus dem Publikum, was womöglich weniger mit der Ausstattung zu tun hatte als mit der "Arbeitsverweigerung" von Pierre Audi. Der Regisseur ließ die Sänger so orientierungslos an der Rampe stehen und so beliebig durch die düstere Baselitz-Kulisse irren, dass Tenorstar Jonas Kaufmann im Vorfeld vielsagend von einer "sehr minimalistischen Regie" gesprochen hatte.

"Konzept der Reinheit" nicht zu erkennen

Das erinnerte eher an eine Installation als eine Oper, was an sich durchaus in Ordnung gegangen wäre, schließlich ist der "Parsifal" eine meditative Angelegenheit. Leider waren die Entwürfe von Baselitz aber bei weitem nicht fesselnd genug, um die vorsätzliche Einfallslosigkeit von Audi auszugleichen, um die Zuschauer über fünfeinhalb Stunden zu inspirieren, zu erschüttern, zu bewegen. Der Meister hatte Bezug auf seine legendären "Heldenbilder" aus den sechziger Jahren genommen: Massive, bleiche Figuren, Gefallene, die an Krieg und Nationalsozialismus erinnern. Dazu leidende, von Wunden übersäte Blumenmädchen, allesamt nackte, schwer Versehrte, nicht etwa Verführerinnen. Wobei ausnahmsweise keinen echten Nackten auftraten, sondern der Chor in bizarre rosa Schlafanzüge gesteckt wurde. Ein "Konzept der Reinheit", wie von Pierre Audi eigentlich beabsichtigt, war da nicht zu erkennen.

Das soll der Gral sein

Ein Wald aus stilisierten Tannen siecht dahin, zerfällt, eine Mauer bläst sich auf wie eine Hüpfburg und fällt wieder in sich zusammen. In der Mitte eine Skulptur aus schweren, miteinander verknoteten Stämmen, halb Tipi-Zelt, halb urzeitliches Idol, wie der berühmte schwarze Monolith in Stanley Kubricks "2001 - Odyssee im Weltraum". Ein Selbstzitat, vor drei Jahren schuf Baselitz in ähnlicher Form die Bronze-Skulptur "Zero Dom". Das also soll der Gral sein, nach dem alle gieren, im dritten Aufzug steht er auf dem Kopf, Baselitz-Freunde wissen natürlich: Ein Kunstgriff, den der Maler seit 1969 für sich entdeckt hat. Das alles mag für Insider interessant sein, eine packende Studie über "Erlösung" wurde daraus nicht.

Angeregte Diskussionen, schneller Aufbruch

Titelheld Jonas Kaufmann, mit seinem dunkel-samtigen Organ ohnehin nicht der ideale "Erlöser", haderte hörbar mit seiner Rolle und wurde am Ende sehr zurückhaltend mit Beifall bedacht. Bass René Pape, der als Gurnemanz die größte Last zu tragen hatte, kam sehr viel besser zurecht: Er ist bekannt für seine eher statischen, bisweilen sogar unbeteiligten Auftritte. Gefeiert wurde Bariton Christian Gerhaher als Amfortas, auch Sopranistin Nina Stemme, die gerade den höchst dotierten Musikpreis der Welt erhalten hat, meisterte ihre Partie großartig, wenn auch nicht spektakulär. Am wohlsten schien sich Wolfgang Koch als Bösewicht Klingsor zu fühlen, wenngleich er bei seinem kurzen Auftritt von Hustenanfällen gepeinigt war. Wirklich sensationell war einmal mehr Generalmusikdirektor Kirill Petrenko, der in einem für "Parsifal"-Verhältnisse erstaunlich weit hoch gefahrenen Orchestergraben dirigierte. So sichtbar sind die Musiker sonst eher bei Mozart. Das

ergab einen kristallklaren, schlackenfreien, transparenten Klang und führte erstaunlicher Weise zur brillanten Wortverständlichkeit. Keine Spur von Schwulst und Weihrauch! Viele angeregte Diskussionen, schneller Aufbruch: Die Münchener Opernfestspiele haben ein Gesprächsthema.

Wieder am 1., 5. und 8. Juli, weitere Termine.