Auf dem Gräberfeld in Loftus, einer Kleinstadt im Norden Englands, machten Archäologen 2006 eine Jahrhundert-Entdeckung: eine so genannte Bettbestattung. Sie fanden die Grabanlage einer adligen Frau, die im 7. Jahrhundert zusammen mit ihrem äußerst kostbaren Schmuck in einem Bett begraben worden war und in der Folge "Loftus-Prinzessin" hieß.
Auf den Spuren mittelalterlicher Frauen
Mit diesem Ereignis beginnt das Buch der Kunsthistorikerin Janina Ramirez, die bei ihrer Spurensuche geographisch vorgeht. Sie scannt ganz Europa nach frühen Frauenfiguren, sowohl namentlich bekannte wie die Universalgelehrte Hildegard von Bingen als auch unbekannte wie die Stickerinnen des Teppichs von Bayeux. Ihre Erkundung beginnt im Norden Englands, führt über Skandinavien, Frankreich und Deutschland nach Polen und endet wieder in England.
Doch Janina Ramirez belässt es nicht bei der Berichterstattung bloßer Ereignisse: Sie sind stets nur Ausgangspunkt für konkrete Annäherungen an die mittelalterlichen Lebenswelten der Frauen: Im Falle der Loftus-Prinzessin zoomt sich die Autorin an die gefundenen Schmuckstücke heran: eine aufwändige Schmiedearbeit mit wuchtigen Anhängern aus Gold und Granat-Steinen, der größte davon muschelförmig geschliffen. Die Steine stammen aus Osteuropa oder Indien und zeigen eine Mischung aus heidnischen und christlichen Motiven.
Einflussreiche Frauen mit internationalen Beziehungen
So eröffnet sie mit der Loftus-Prinzessin „ein Fenster in eine Zeit großer Veränderungen“, in eine Zeit, in der Frauen als frühe Anhängerinnen des Christentums diese Religion verbreiteten und damit ihr Land prägten. Ähnliche Grabbeigaben auf Klosterfriedhöfen und Grabbeigaben aus dem 7. Jahrhundert führt sie zu dem Schluss: Frauen waren als Klostergründerinnen sehr wohlhabend, hatten internationale Beziehungen und waren auch auf dem politischen Parkett einflussreich.
Die Quellen: Alltagsgegenstände und Kunstwerke
Im Vergleich zu der üppigen Quellenlage männlicher Zeitgenossen, erzählen nur sehr wenige schriftliche Dokumente von der weiblichen Lebenswirklichkeit. Janina Ramirez lässt die in England, Norwegen, Frankreich und Deutschland entdeckten Kunstobjekte, Alltagsgegenstände, Münzen und Schmuck sprechen. Dabei wird allerdings klar, dass selbst die nicht viel Aufschluss über das Leben einfacher Frauen liefern. Anhand des berühmten Teppichs von Bayeux etwa erzählt Janina Ramirez von Stickerinnen, die ihn im 11. Jahrhundert gewebt haben. Aber viel mehr erfährt man über sie nicht, als dass sie sehr versiert und talentiert gearbeitet haben.
Margery Kempe, die Madame Bovary des Mittelalters
Anders verhält es sich mit Quellen von hochgestellten, reichen Frauen: Etwa der Autobiografie der englischen Bürgermeisterstochter und Unternehmerin Margery Kempe: "The Book of Margery Kempe". 1372 geboren, Mutter von vierzehn Kindern, investiert Kempe in eine Mühle und mehrere weitere Geschäfte. Allerdings muss sie Konkurs anmelden, scheitert damit als Frau des Kaufmannsstandes mit all ihren Investitionen und Geschäftszweigen und verliert den Halt in der bürgerlichen Gesellschaft. Margery Kempe erscheint als eine Madame Bovary des Mittelalters, von Leidenschaften getrieben versucht sie ihrer Ehe zu entkommen und nimmt sich schließlich Christus als Liebhaber: sie wird Mystikerin, Seherin und Heilerin.
In "The Book of Margery Kempe" erzählt die extrovertierte Autorin viel über Lust und Sexualität im Mittelalter. Sie schreibt über Wahnzustände und Visionen, über ihr Begehren, ihre Sexualität und wie schwer ihr die religiös verordnete Enthaltsamkeit fällt.
Janina Ramirez: "Femina. Eine neue Geschichte des Mittelalters aus Sicht der Frauen" ist in der Übersetzung von Karin Schuler bei Aufbau erschienen.
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