Stoffe – farbensprühend bunt, bedruckt, bemalt mit dicken Strichen oder feinen ausgreifenden Mustern. Orientalische Mosaike, abstrakte Zeichen, mäandernde Figuren. Kein Zweifel: Hamid Zénati liebte das Ornament. Aber wer ist dieser Künstler, den die Kunstwelt bisher nicht kannte. Der in München lebte und doch immer wieder nach Algerien reiste, wo er 1944 geboren wurde. Kuratorin Anna Schneider kramt in einer Kiste voller Fotos:
"Also, hier. Das ist eines meiner Lieblingsbilder von ihm. Nicht nur, weil er eines seiner ganz frühen, selbst bemalten T-Shirts bzw. Hemden trägt, das eigentlich aussieht wie ein Kandinsky Bild, muss man sagen. Und gleichzeitig zeichnet er in einer Art Hütte. Ich könnte mir vorstellen, dass das tatsächlich in der Sahara war. Er hat die Sahara geliebt und ist so oft es ging in den Süden Algeriens gereist, manchmal auch mit Freunden. Hier sieht man ihn auf seiner Terrasse, in dem Familienhaus in Algerien. Er ist Zeit seines Lebens immer zwischen München und Algerien gependelt. Und er hat an beiden Orten gearbeitet. Und der Vorteil dieser Textilien war auch, dass er sie einfach in Koffer packen konnte und mitnehmen konnte."
Zwischen Sahara und Gorilla Bar
Hamid Zénati war ein Nomade der Kunst. Einer der Erlebnisse und Eindrücke verarbeitet, egal aus welchem Kulturkreis sie kamen. Natürlich kann man in seinen Stoffen Analogien zur Kunst des Maghreb sehen, aber neben dem Ornamentalen, sprechen andere Werke eine völlig andere fast popartige Sprache. So ergibt sich ein regelrechtes Puzzle an Stilrichtungen, einzig zusammen gehalten von der unbändigen Fantasie Zénatis.
"Er hat sich selber als Textildesigner verstanden, das heißt, er hat sich als jemand verstanden, der Stoffmuster gestaltet, und hat sie eigentlich in der Vervielfältigung gesehen. Ich würde jetzt sozusagen in der Retrospektive sagen, dass viele Arbeiten so originell und wunderbar sind, dass sie einfach als Bilder funktionieren und dass man sie wirklich auch im Kontext von Abstraktion sehen sollte. Beispielsweise fand er den deutschen Expressionismus oder die russische Abstraktion unheimlich spannend. Also ich denke, da gibt es ganz viele Bildwelten, die sich in seiner Bildsprache letztlich wiederfinden. Dennoch hat er eine ganz eigene gefunden."
Ausgebildet in München
Die Vorbereitung der Ausstellung war auch eine Spurensuche; 30 Jahre lang lebte Hamdi Zénati in Neuhausen. In den 60er-Jahren kam er aus Algier nach München, besaß lange den Status eines Geduldeten, besuchte aber in den frühen 70ern hier die Fotoschule. Mit Fotografie hatte er schon immer experimentiert, zerschnitt Aufnahmen, übermalte sie, ritzte Muster hinein und nutzte sie als Einladungskarten. Seine Stammkneipe: die Gorilla-Bar in Neuhausen. Sein Stammplatz: Ein Stuhl den er selbst bemalt hat. Darauf steht: Neuhauser Revolutionär. So machte er München zu seinem Ort. Kuratorin Anna Schneider hat den im vergangenen Jahr gestorbenen Künstler noch gekannt: "Er war wirklich ein Unikum. Also er war ein Einzelgänger, aber auch sehr lustig und komisch. Zwischendurch ging gern in die Kneipe, hat experimentiert, hat in keine Norm gepasst hat, war wirklich ein freiheitsliebender Individualist."
Voller Farbenfreude
In der Ausstellung liegen Zénatis Stoffe auf Podesten, ein jeder anders, wieder andere schweben an langen Drahtstrippen in der Höhe. Je nach Blickwinkel kreuzen sich die Muster, ergeben sich immer neue Durchblicke. Diese Stoffe nehmen den Raum regelrecht ein. "Ich denke, es ist einfach eine wunderbare Gelegenheit, die Mittelhalle, das Haus der Kunst in einer leuchtenden Vielfalt in einer Farbpracht zu sehen und einfach Freude zu erleben an Farbe und Muster."
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Das Werk des Kunstnomaden Hamid Zénati
All Over - Ausstellung mit Werken von Hamid Zénati. Bis 23. Juli 2023 im Haus der Kunst, München.