Stasi-Dramen sind ja gerade sehr in Mode, wie die ARD-Erfolgsserie "Weissensee" und weitere Fernsehformate gerade bewiesen haben. Es
gibt eben nichts Schöneres, als bösen Menschen bei ihren Missetaten
zuzuschauen, und neuerdings erwartet das Publikum offensichtlich nicht mal
mehr, dass die Täter angemessen bestraft werden. Insofern passt der Würzburger "Otello" in den Trend, denn Regisseur Guy Montavon zeigt Verdis
Oper ebenfalls als düstere Staatssicherheits-Geschichte.
Täter kommen ungestraft davon
Die Mächtigen in Venedig beschließen, ihren erfolgreichen, aber
lästig gewordenen Heerführer Otello auszuschalten, aber weil er populär ist,
muss das natürlich ganz im Geheimen geschehen. Folgerichtig planen die
Stasi-Offiziere eine teuflische Intrige, "zersetzen" kaltblütig die
Ehe von Otello und treiben ihn in den Wahnsinn, bis er als Mörder seiner Frau
liquidiert werden kann. Der so intelligente wie gefährliche Ober-Bösewicht Jago
wird daher im Schlussbild auch nicht etwa zur Rechenschaft gezogen, sondern von
seinen Offizierskollegen und Vorgesetzten allseits beglückwünscht. Vorgang
erfolgreich abgeschlossen, sozusagen.
Selbstbewusste Desdemona
Das ist eine äußerst pessimistische, aber durchaus plausible
Deutung des schwierigen "Otello"-Stoffs. Als bloßes Eifersuchtsdrama, wie sonst
oft zu sehen, wirkt die Oper heute arg betulich und unglaubwürdig, auch
deshalb, weil Otellos Gattin Desdemona in solchen Fällen als sehr einfältiges,
um nicht zu sagen begriffsstutziges Opferlamm erscheint. In Würzburg dagegen
ist sie raffiniert genug, eine Attrappe ins Ehebett zu legen, ihren rasenden
Gatten also zu täuschen und sich selbst vor ihm in Sicherheit zu bringen. Guy
Montavon schien es aber wohl zu gewagt, auch Desdemona zur Stasi-Agentin bzw.
Mitwisserin zu machen und so ließ er sie doch noch sterben, nicht ganz im Einklang
mit seinem Regiekonzept.
Spartanische Ausstattung
Trotzdem war es eine packende, zeitgemäße, und politisch
interessante Deutung. Lediglich das Bühnenbild von Francesco Calcagnini wirkte etwas
sehr spartanisch, und das, obwohl das Mainfrankentheater Würzburg und das Theater
Erfurt in diesem Fall in Koproduktion zusammenarbeiteten, also grundsätzlich
einen höherer Ausstattungsetat möglich gewesen wäre. Stattdessen blieb es bei
ein paar schwarzen Podesten und viel Dunkelheit auf der Bühne. Sehr gut dagegen
war die Bebilderung der Eingangsszene: Das Stampfen von Otellos Schiff im Sturm
wurde durch Überblendungen optisch eindrucksvoll erfahrbar.
Bösewicht Jago im Mittelpunkt
Ursprünglich sollte die Oper übrigens nicht Otello, sondern Jago heißen, nach dem rücksichtslosen und verbrecherischen Offizier, der die ganze Handlung in Bewegung hält. In Würzburg spielte und sang Adam Kim diesen Jago tatsächlich so, dass er allzeit im Zentrum stand. Eine großartige Leistung. Ray M. Wade als Otello war der äußerst anspruchsvollen Rolle zwar stimmlich weitgehend gewachsen, wirkte als Getriebener und Verzweifelter schauspielerisch aber etwas passiv. Karen Leiber war eine erfrischend selbstbewusste, kluge, seelenvolle Desdemona, nicht das herzige Dummchen, das oft aus dieser Rolle gemacht wird.
Keine Fortsetzung geplant
Dirigent Enrico Calesso neigte diesmal zu sehr ruppigen Bewegungen
und einem sehr scharfkantigen Klangbild. In den wild bewegten Sturm- und
martialischen Volksszenen war das durchaus angebracht, auch zum ausgesprochen
handfesten Regiekonzept passte es vorzüglich, womöglich hätte Desdemonas
Schluss-Auftritt aber doch etwas mehr lyrisches Pathos vertragen. Erfreulich gut
geprobt und konzentriert waren das Philharmonische Orchester Würzburg und der
Opernchor, der szenisch allerdings nicht über Gebühr gefordert wurde.
Herzlicher Beifall für eine durchweg diskussionswürdige, anregende
Otello-Interpretation. Anders als bei "Weissensee" ist aber keine
Fortsetzung geplant.