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Liu Xia

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Ein "Lichtkörper": Chinesische Künstlerin Liu Xia in Berlin

Sie lässt sich als Künstlerin nicht einordnen in die zeitgenössische chinesische Kultur: Liu Xia ist als Dichterin und Fotografin einzigartig, ein "Lichtkörper", der jetzt, im Exil, Berlin erhellt. Die Zensur trickste sie aus. Von Tilman Spengler.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Nein, gänzlich unbeachtet blieb die Ausreise von Liu Xia gestern in den sozialen Medien der Volksrepublik China nicht. „Die Witwe ist nach Deutschland unterwegs“ hieß es mehr oder weniger lapidar in den entsprechenden Diensten, doch die Zahl dieser Meldungen ließ sich mit den Fingern einer Hand andeuten. „Die Witwe“, in einer Nachricht auch „die Witwe des Friedensnobelpreisträgers“ genannt, ist die Malerin, Dichterin, Fotografin Liu Xia, 1961 in Peking zur Welt gekommen und seit 1996 mit dem vor einem Jahr verstorbenen Friedenspreisträger Liu Xiaobo verheiratet. Über einen Aspekt der Beziehung zwischen den beiden hat sie einmal ein Gedicht geschrieben, das ich Ihnen geringfügig gekürzt jetzt vortragen möchte.

Nicht für Sinologen gedacht

Meine Aus-dem Stand-Übersetzung ist dabei nicht für jetzt zuhörende Sinologen gedacht, um deren Nachsicht ich ausdrücklich bitte. Das Gedicht heißt schlicht: „2. Juni 1989“, bezieht sich also auf jenen Sommer 1989, in dem die chinesische Demokratiebewegung ein blutiges Ende fand, und in der Liu Xias Mann eine bedeutende Rolle spielte:

Das ist kein gutes Wetter,
sagte ich zu mir,
als ich unter der prallen Sonne stand.
Ich hatte keine Möglichkeit
Nur einen Satz zu sagen, bevor Du
eine Figur in den Nachrichten wurdest,
zu der die Massen hochblickten,
während ich erschöpft
am Rande der Menge
einfach nur rauchte
und den Himmel betrachtete.
Vielleicht bildete sich gerade ein neuer Mythos,
dort, doch die Sonne war zu blendend,
ich konnte nichts erkennen.

Quirligerer Teil der Beziehung

Man kann nach diesen Zeilen unser Gespräch gleich in mehrere Richtungen lenken. Die wichtigste Perspektive ist dabei für mich unverkennbar die Rolle der Frau im politischen genauso wie im Alltagsgeschehen. Sie raucht, betrachtet den Himmel und blickt in die Zukunft an der Seite eines Helden, in der für sie viel Schatten vorgesehen ist. Manchen Frauen ist diese Sichtweise nicht ganz unvertraut. Wir dürfen daher im Gedicht getrost auch noch eine andere Botschaft wahrnehmen: Liu Xia, heute in der Öffentlichkeit nur noch: DIE WITWE war in den Zeiten, als der spätere Friedenspreisträger um sie warb, der weitaus quirligere Teil der Beziehung. So erinnern sich jedenfalls Zeitzeugen, die zur Charakterisierung der jungen Frau gern die kulinarische Bezeichnung „Feuertopf“ verwendeten. Als Magnet für unangepasste chinesische Intellektuelle übte sie zumindest eine ihrem Mann gleichwertige Anziehungskraft aus.

Stummer Heiliger Josef

Nach dessen Verhaftung rückten andere Motive in ihre Dichtkunst: Leere Stühle, kahle Bäume, Vogelkäfige. Alles Bilder, die durch ihre poetische Tradition in China bekannt und brisant sind, dennoch der Zensur eine lange und spöttische Nase zeigten. Womit ich aber, verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer, keineswegs den Eindruck erwecken möchte, Liu Xia sei wie eine Art schnell zündender Feuerwerkskörper durch die chinesische Kulturlandschaft gezuckt. Ihr künstlerisches Werk, ich beziehe mich hier auf ihre Gedichte und ihre fotografischen Arbeiten folgen einer jeweils sehr eigenständigen Tradition des Ausgefallenen im Sinne des „Von der Welt Ausgefallenen“. Vielleicht, ich würde Liu Xia gerne dazu befragen, ist ausgerechnet die Figur des stummen Heiligen Joseph, den sie in einem Gedicht aus dem Jahr 1986 beschreibt, wie er unbeachtet aus seiner Nische in der Kapelle die Welt betrachtet, vielleicht ist ja auch diese Figur einer der vielen widersprüchlichen Leitsterne dieser Poetin.

Lichtbotschaften vom Sternenhimmel

Kann man sie, kann man Liu Xia im Kosmos der zeitgenössischen chinesischen Kultur einer eindeutigen Position zuordnen? Gott sei Dank nicht. Einmal, weil selbst die wortgewaltigsten Kommentatoren unserer Feuilletons sich schwer tun, sei es in den bildenden Künsten, also der Fotografie, der Plastik oder der Malerei einen geordneten Sternenhimmel auszumachen, der nicht durch Marktgeschehen bestimmt ist, zum anderen, weil wir es oft mit Lichtbotschaften zu tun haben, deren Erzeuger längst erloschen sind.

Lachen, Scherzen, Schimpfen

Im Falle von Liu Xia dürfen wir uns auf einen Lichtkörper freuen, der in Berlin auf ein nicht völlig unvorbereitetes Publikum triff. Im Martin-Gropius-Bau, in Berlin, wurde vor drei Jahren schon einmal eine Auswahl ihrer Fotografien vorgestellt, in Berlin wird sie auf Freunde und Kollegen treffen, die ihre Arbeiten schätzen. Wir denken dabei an einen berühmten Bildhauer, oder einen Träger des deutschen Friedenspreises, oder einen genialischen Dichter, die alle mit Frau Liu in ihrem eigenen Dialekt lachen, scherzen, schimpfen und am Ende der Worte auch weinen können - und danach Rauchen und Trinken. Das ist in diesen Tagen beileibe nicht die schlechteste Nachricht. Und über das Schicksal des Bruders von Liu Xia reden wir dann beim nächsten Mal.