Carmen lässt es krachen
Bildrechte: Hamburgische Staatsoper/Brinkhoff/Mögenburg

Großer Auftritt in Rot: Carmen

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Ein Kreuz mit Bizet: Publikum nahm "Carmen" auf die Hörner

Bei dieser Premiere sahen einige Zuschauer rot: Regisseur Herbert Fritsch zeigte die Stierkampf-Oper in Hamburg als grellbunte Revue unter Madonna und Kruzifix, garniert mit Toreros in rosa Strapsen. Auch für den Dirigenten gab es Gegenwind.

Als Leisetreter ist der gebürtige Augsburger und Regisseur Herbert Fritsch (71) wirklich nicht bekannt. Er strapaziert, wie er dem BR sagt, gern Klischees, auch in der allerersten Oper, die er als Kind gesehen hat: Georges Bizets "Carmen". Das sorgte an der Hamburgischen Staatsoper vor allem unmittelbar nach der Pause für eine sehr gereizte Stimmung im Publikum. Einige Zuschauer machten ihrem Unmut lautstark Luft, sprachen von "Kasperletheater" und erregten sich über Toreros in rosa Strapsen, eine schwankende Hängebrücke vor Gebirgslandschaft, einen störrischen "Esel" und jede Menge Perücken im japanischen Stil.

"Habe ja mit dem roten Tuch gewedelt"

Fritsch selbst kam am Ende dennoch ganz ohne Buhrufe aus dem Saal. Sein Trick: Er ließ dem Produktionsteam zur Entgegennahme der Proteste den Vortritt und erschien erst etwas später persönlich, und zwar in Torero-Kluft, so dass die Buhrufer entweder schon gegangen waren oder ihn im Getümmel nicht gleich erkannten: "Ich dachte schon, dass es emotionale Reaktionen geben wird. Ich bin ja ein Torero und insofern habe ich ja indirekt während der Aufführung reichlich mit dem roten Tuch gewedelt und daher mit nichts anderem gerechnet."

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Micaela zwischen Schmugglern

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Soldaten in Parade-Outfit

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Hier wird geschmuggelt

Frisch genesen von einer Herzoperation, hätte der als Regisseur bundesweit viel gefragte Fritsch eigentlich noch gar nicht wieder arbeiten dürfen, wie er sagt. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass diese Inszenierung gar nicht so klamaukig und provokant war, wie es manche im Saal empfanden. Im Grunde ließ er die Sänger weitgehend gewähren, allerdings in den in der Tat grellen Kostümen von José Luna und dem kunterbunten Showlicht von Carsten Sander, der gern mit Verfolgern und Discoeffekten spielte.

"Orakel sind nicht sofort lesbar"

Nun ist die "Carmen" ja wirklich ein Boulevardstoff, schwebte Georges Bizet doch ein Fantasie-Spanien vor, zusammengesetzt aus Folklore, Kitsch, Tourismuswerbung und Stierkampf-Dramatik. Eine "wilde Mischung", die eine entsprechend wilde Optik durchaus verträgt. Er befrage die von ihm inszenierten Stücke wie ein Orakel, hatte Fritsch im Programmheft gesagt. Bekam er Antwort? "Das kann ich noch nicht sagen, das muss ich noch entschlüsseln. Diese Orakel sind ja nicht sofort lesbar, sondern da braucht man eine Weile für das Entschlüsseln. Ich hoffe nur, dass die Leute was daraus lesen konnten, oder eben nicht, dass es dann einfach nur ein unterhaltsamer Abend war."

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Nicht zu übersehen waren die religiösen Symbole, mit denen Fritsch seine "Carmen" auflud: Eine riesenhafte, bühnenhohe Madonna im Geranienfeld vor Goldgrund, der Farbe, die das Mittelalter für den Himmel vorsah. Ein gigantisches Kreuz in der Gebirgslandschaft. Pilger in den typisch spanischen Spitzhüten mit Gucklöchern, wie zur Zeit der Inquisition. Sehr katholisch, das alles, wie Sevilla nun mal ist, aber sonderlich plausibel wirkte es nicht, denn Carmen ist ja weder fromm, noch bußfertig, sondern glaubt an ihre Freiheit. Die jedoch, so Fritsch, werde so "inflationär" verwendet, dass ihr Inhalt längst hohl und leer geworden sei. So wurde der Abend insgesamt so poppig grell wie beabsichtigt, ohne deshalb die Geschichte zu erhellen.

Halb Satire, halb Erotik

Amüsant war es trotzdem, was vor allem an der vielfach ausgezeichneten russischen Mezzosopranistin Maria Kataeva in der Titelrolle lag. Sie tanzte und klapperte mit den Kastagnetten, als ob ihre Vorfahren seit mindestens drei Generationen in Andalusien zu Hause waren. Herrlich lasziv stakste sie in hautengen Hosen und gelb-orangen Stiefeln durch die Landschaft, trug eine absurd überladene Sevilla-Tracht und streichelte ihren Pelz mit sinnlicher Energie - halb Satire, halb Erotik. Und ihre Stimme war fulminant.

Da konnten der kroatische Tenor Tomislav Mužek als eifersüchtiger Don José und vor allem Kostas Smoriginas als maskuliner Torero Escamillo nicht ganz mithalten. Letzterer bekam auch den Unmut des Publikums zu spüren, vor allem jedoch der junge israelisch-amerikanische Dirigent Yoel Gamzou (34). Dass er nicht mit einem "Überschallknall" startete, verwunderte, so überstürzt, wie er die Ouvertüre anging. Später drückte er aufs Bremspedal. Womöglich wollte er auch etwas ironischen Witz in die populäre Partitur bringen was allerdings nicht immer funktionierte. In der "Carmen" gibt es ja zahlreiche Nummern zum Mitwippen und Mitsummen, da ist eine Irritation hier und da durchaus von Vorteil.

Eine "Carmen" mit Diskussionspotential - wenn auch nicht ganz so brisant wie das Thema Stierkampf in Spanien. Herbert Fritsch hat noch nie einen mitverfolgt, wie er dem BR gestand: "Da möchte ich auch nicht reingehen, da habe ich Angst davor. Das würde mir weh tun, das zu sehen."

Ein paar Zuschauer werden genau das wohl von der Premiere sagen. Aber immerhin hält diese "Carmen" über gut drei Stunden aufs Angenehmste wach.

Wieder am 22. und 28. September 2022 an der Hamburgischen Staatsoper, weitere Termine.