Stacheldrahtzaun im ehemaligen Konzentrationslager Dachau.
Bildrechte: picture-alliance / dpa | Gambarini Mauricio

Stacheldrahtzaun im ehemaligen Konzentrationslager Dachau.

  • Artikel mit Audio-Inhalten

Ehrenzeichen für homosexuelles NS-Opfer August Gänswein

August Gänswein wurde 1942 von den Nationalsozialisten im Konzentrationslager Dachau ermordet, weil er homosexuell war. Am heutigen Holocaust-Gedenktag liegt der Fokus erstmals auf NS-Opfern, die wegen ihrer Sexualität verfolgt worden sind.

Am heutigen Holocaust-Gedenktag im Bundestag wird erstmals der Menschen gedacht, die wegen ihrer Sexualität verfolgt worden sind. Eine Zeremonie findet auch im queeren Münchner Szeneviertel in der Müllerstraße statt: Es wird ein Erinnerungszeichen für August Gänswein angebracht. Der Homosexuelle kam 1936 ins Konzentrationslager Dachau und wurde später in der Tötungsanstalt Hartheim bei Linz von den Nationalsozialisten ermordet.

NS-Opfer Gänswein stammt aus dem Schwarzwald

August Gänswein wurde 1891 in Riedern im Wald, einem kleinen Ort am Rande des Schwarzwaldes, geboren. Gut 65 Jahre später kommt dort auch sein heute ungleich bekannterer Namensvetter Georg Gänswein zur Welt, langjähriger Privatsekretär des jüngst verstorbenen Papstes aus Bayern, Joseph Ratzinger. "Ich bin mir nicht sicher, ob Georg Gänswein über seinen gleichnamigen Vorgänger Bescheid weiß, vielleicht sollte er mal Bescheid wissen und sich damit auseinandersetzen", meint Albert Knoll, Mitarbeiter der KZ-Gedenkstätte Dachau.

Aus Sicht des Historikers empfiehlt sich die Beschäftigung mit August Gänswein freilich nicht nur für Kirchenmänner, denen ein konservativer Ruf vorauseilt. Denn August Gänswein war homosexuell und wurde deshalb, nachdem er einige Jahre unbehelligt in München hatte leben können, Opfer der Nationalsozialisten. Gänswein galt in deren Augen als "unverbesserlicher Widerholungstäter", weil er viele homosexuelle Kontakte hatte.

"Das ist das Entscheidende für unser Gedenken: Deswegen ist er 1936 in das KZ Dachau eingeliefert worden", erklärt Albert Knoll. Homosexuelle Häftlinge hätten in der Lager-Hierarchie weit unten gestanden. Die Vorurteile bezogen sich auf das sogenannte "widernatürliche Verhalten", dass sie Unzucht treiben würden. "Das sind alte, bürgerlich-gesellschaftliche, aber auch von der Kirche dominierte Vorstellungen, nach denen Homosexualität einfach Sünde ist", sagt Knoll.

Hörempfehlung: Willkommen im Club – der queere Podcast von PULS mit einer Doppelfolge zum Thema LGBTIQ* im Nationalsozialismus:

Bildrechte: Staatsarchiv München

August Gänswein

Nazis brandmarkten Homosexuelle mit "rosa Winkel"

Denn seit 1871 wurde gemäß Paragraph 175 im Reichsgesetzbuch Geschlechtsverkehr zwischen Männern mit Gefängnis bestraft. Die Nationalsozialisten brandmarkten homosexuelle Männer mit einem sogenannten "rosa Winkel" und brachten sie ins Konzentrationslager. Unter ihnen war auch August Gänswein.

Ihn würdigt die Stadt München nun an seinem ehemaligen Wohnort in der Münchner Blumenstraße mit einem Erinnerungszeichen, allerdings bewusst nicht auf dem Fußweg mit einem Stolperstein, wie Barbara Hutzelmann vom Kulturreferat der Landeshauptstadt erklärt. "In München gab es eine lange Auseinandersetzung darum, ob Stolpersteine eine adäquate Form des Gedenkens sind. Auch auf Wunsch von Opfergruppenvertretern wie der Israelitischen Kultusgemeinde in München wurde sich dann aber für ein Gedenken auf Augenhöhe entschieden, und das ist das grundsätzlich andere", sagt Barbara Hutzelmann. "Erinnerungszeichen werden auf Augenhöhe angebracht und zwar als Tafeln an der Hauswand oder als Stele auf öffentlichem Grund, direkt vor dem Haus oder in unmittelbarer Nähe."

Bundestag hat sich gedrückt, homosexuelle Verfolgte anzuerkennen

Am 27. Januar findet jedes Jahr der Holocaust-Gedenktag statt, weil an diesem Tag 1945 das Konzentrationslager Auschwitz von der Roten Armee befreit wurde. Auch der deutsche Bundestag gedenkt am diesjährigen Holocaust-Gedenktag erstmals der NS-Opfer, die wegen ihrer Sexualität verfolgt und oftmals auch ermordet wurden. Das sei "längst überfällig gewesen", meint Albert Knoll von der KZ-Gedenkstätte Dachau. "Die Bundesregierung hat sich lange davor gedrückt, homosexuelle Häftlinge als Verfolgte anzuerkennen. Das fängt mit der Aberkennung von Entschädigungszahlungen in den 50er Jahren an und zog sich lange durch", kritisiert Knoll.

Eine Entspannung der Situation habe erst 1962 stattgefunden, als der Paragraph 175 entschärft und 1994 schließlich komplett gestrichen wurde. "Das war grundlegend dafür, dass man sich überhaupt mit dieser Opfergruppe als solche beschäftigte. Und immer wieder haben Schwule, aber auch Lesben, dafür protestiert, sich dafür eingesetzt, dass Homosexuelle entschädigt werden, dass sie endlich auch einen Verfolgtenstatus bekommen können", sagt Knoll.

Homosexuelle NS-Opfer bekamen erst 2002 Verfolgtenstatus

Den Verfolgtenstatus selbst bekamen homosexuelle NS-Opfer allerdings erst 2002. Für viele Verfolgte, die den Krieg überlebt hatten, kam das viel zu spät, sie waren zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben. August Gänswein wurde 1942 von den Nationalsozialisten ermordet. Dank des Erinnerungszeichens kehrt er nun wenigstens wieder ins Gedächtnis der Stadtgesellschaft zurück.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

Sie interessieren sich für Themen rund um Religion, Kirche, Spiritualität und ethische Fragestellungen? Dann abonnieren Sie unseren Newsletter. Jeden Freitag die wichtigsten Meldungen der Woche direkt in Ihr Postfach. Hier geht's zur Anmeldung.