Aber natürlich lässt sich über Vorurteile hinwegsehen, allerdings nur aus den oberen Etagen eines Kontos, also dort, wo der Blick so richtig weit in die Ferne schweifen kann und sich am Horizont allerlei finanzielle Möglichkeiten abzeichnen. Geld reißt Bedenken ein, sogar schwere und sperrige. Daraus hat Johann Nestroy (1801 – 1862) zahlreiche Wiener Volksstücke gemacht, allesamt nur scheinbar harmlose Possen und Schwänke, die der scharfzüngige Polemiker Karl Kraus mal mit "Dynamit in Watte" verglich.
Frechheit und Perücken
Und so wird der verlogenen Gesellschaft auch im "Talisman" von 1840 der trübe Spiegel vorgehalten. Rothaarige müssen sich dort mit einem Leben am Rande der Gesellschaft abfinden, weil sie als hinterlistig und aggressiv gelten. Lauter Füchse in Menschengestalt sozusagen. Wer das alles für Unsinn hält, kann sich am 26. Mai solidarisch zeigen, da feiern die Rothaarigen ihren Welttag, aus welchem Anlass auch immer.
Gegen Stigmatisierung hilft für alle Betroffenen nur eines: Frechheit und die passende Perücke. Also greift der arg gebeutelte Titus Feuerfuchs buchstäblich die Gelegenheit beim Schopf und macht erst mit schwarzen, dann mit blonden Locken Karriere. Die Haare sind nicht echt, aber die Gefühle ja auch nicht, passt also. Darüber wird er grauhaarig und am Ende so sentimental, dass er doch wieder vor Scham errötet über die eigene Verwegenheit und so, wie es sich in der Komödie gehört, endlich sein Glück findet.
Beschwingte Zwei-Stunden-Revue
Natürlich hätte Regisseur Bernd Liepold-Mosser am Salzburger Landestheater aus roten Haaren auch irgendein anderes vermeintliches Stigma machen können: Rasta-Locken oder Glatze, Nasenringe oder Tattoos, ganz egal, es geht um die Ablehnung von Menschen, die durch ihr bloßes Aussehen als "ungewöhnlich" wahrgenommen werden, als "exotisch" und irgendwie "unseriös", ja "bedrohlich".
Ende gut, Haare schön
Doch weil es Nestroy ist, hätte zu viel Aktualisierung nur noch Dynamit übriggelassen und die Moral damit arg ohrenbetäubend explodieren lassen. So dagegen wurde es eine ausgesprochen beschwingte Zwei-Stunden-Revue über dumme, dreiste und durchtriebene Zeitgenossen, die zwischen Perücke und Hirn schon lange nicht mehr unterscheiden. Sie sind es gewohnt, Ansichten wie Farben zu wechseln, vorausgesetzt, der eigene Vorteil bekommt dabei keinen Spliss.
Er wird ein besserer Mensch
Ausstatter Aurel Lenfert hatte eine Art Hindernisparcours entworfen, in dem eine Wasserfontäne für gefährliche Glätte sorgt. Wer hier die Sprossen nach oben nehmen will, sollte ein rutschfestes Selbstbewusstsein haben, aber das ist Titus Feuerfuchs (Maximilian Paier) zweifellos gegeben. Es macht Spaß, ihm dabei zuzusehen, wie er immer skrupelloser wird, die Sympathien des Publikums sind ihm sicher. Aber auch die drei höchst unterschiedlichen Witwen, die ihn nacheinander begehren, dürfen auf das Verständnis aller Zuschauer rechnen, die sich zu jung für die Einsamkeit fühlen. Und eine Träne darf sein, wenn Feuerfuchs am Ende seine Schlechtigkeit bedauert und vor unseren Augen zu einem besseren Menschen wird - in der Komödie geht das, aber auch nur da.
Nestroy, der bei der Uraufführung persönlich die Hauptrolle übernahm, musste sich im Vormärz, wenige Jahre vor der 1848er Revolution, mit einer recht ungnädigen Zensur herumschlagen. Dabei liebte er spontane Einlagen, gerade auch musikalische. Im Salzburger Landestheater steuerten Komponist Christian Auer und der Regisseur neue Couplets bei, mal sehnsuchtsvolle, mal rockige, mal g´scherte: "No work, no fear, stehe ich hier", heißt es da, oder auch: "Sorry es geht doch nicht um die Frisur". Mit diesen skurrilen Botschaften wird Nestroy absolut zeitgemäß, wie eine Dreigroschenoper auf Gras.
Wahrlich verlockende Aussichten!
Die herrlich wasserfesten und jederzeit abwaschbaren Kostüme im Latex-Look signalisieren: Hier kann sich jeder im moralischen Dreck wälzen, so lang er möchte, es bleibt garantiert nichts hängen, außer vielleicht eine Erbschaft hier und da. Die Schauspielerriege macht ihre Sache dabei mit Blick auf die Wasserspiele wirklich "quietschvergnügt", neben Maximilian Paier vor allem Britta Bayer als liebestolle Gärtnerin und Tina Eberhardt als schrullige Literatin von Cypressenburg.
Überhaupt, die Sprache: Bei Nestroy reden alle, um ihre Absichten zu verschleiern. Wer den Mund aufmacht, will nicht verstanden, sondern bewundert werden. Ehrlich sind diese Menschen nur zum Publikum, also zu sich selbst. Was würden die Perückenmacher dazu sagen? Wahrlich verlockende Aussichten!
Wieder am 22., 24. und 30. März am Salzburger Landestheater, weitere Termine.
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