Gut, dass es hinter unseren Gesichtern zappenduster ist. Ist ja nicht gerade eine angenehme Vorstellung, dass jemand unsere Gedanken liest. Und noch unangenehmer, ja schockierend, wäre es wohl für die allermeisten von uns, wenn jemand einen Scheinwerferkegel direkt auf die heikelste Stelle unseres Bewusstseins richten könnte, also dahin, wo wir selbst ungern hinschauen, wo es richtig weh tut. So gesehen war diese Frankfurter "Salome" ausgesprochen schmerzhaft, schmerzhaft deutlich, ja von geradezu furchteinflössender Konsequenz.
Alles schwarz vor Augen
Regisseur Barrie Kosky und seine Ausstatterin Katrin Lea Tag verzichteten auf jeden orientalischen Firlefanz, ja überhaupt auf ein Bühnenbild im eigentlichen Sinne. Stattdessen: Alles schwarz, so düster, dass wirklich nichts zu erkennen war, meist nicht mal die Wände rechts und links. Die Augen der Zuschauer verloren sich im Nirgendwo. Nur ein einziger Scheinwerfer schneidet Licht hinein in diese tiefe Nacht, erfasst Salome, lässt sie knapp zwei Stunden lang nicht mehr los.
Familien-Aufstellung: Salome, Herodias, Herodes
Ab und zu treten weitere Personen hinein in den scharf begrenzten Kegel: Herodes, ihr Vater, Herodias, ihre Mutter, vor allem aber Jochanaan, der verwahrloste Prophet aus dem Kerker. Er ist vom Licht geblendet, sie von ihm. Was die verwöhnte Prinzessin dabei eigentlich antreibt, bleibt buchstäblich im Dunkeln. Ihre Liebe kommt hier aus dem Nichts, was sie umso beklemmender macht. Aber kommt Liebe eigentlich nicht stets aus dem Nichts? Ist sie nicht nach wie vor ein "Geheimnis", wie es Oscar Wilde poetisch formulierte? Trotz aller Genetik, Psychologie und Hormonforschung unergründlich geblieben?
Triebhafte Gier nach Nähe
Barrie Kosky verzichtet auf jede Interpretation. Bei ihm ist Salome nicht etwa ein traumatisiertes Missbrauchsopfer, wie es sonst oft zu sehen ist, auch nicht eine vom Kapitalismus gefühlskalt gemachte Irre oder sonstwie von den Umständen verdorbene Person. Sie ist einfach verliebt, verliebt bis zur Raserei, ziemlich kindisch, unreif, egozentrisch, narzisstisch. Und so wandert der gleißende Lichtstrahl des Verfolgers nach und nach durch ihren Kopf, leuchtet ihre Beziehungen zu Vater und Mutter aus, entlarvt ihre Liebe zu Jochanaan als triebhafte Gier nach Nähe.
Raserei: Salome verliebt
Der berühmte "Tanz der sieben Schleier" fällt aus, stattdessen hockt sie auf dem Boden und zieht zwischen ihren Beinen eine endlose Haarmähne heraus, die Haare des Jochanaan, die sie kurz zuvor noch leidenschaftlich besungen hatte. Dieser bizarr überdimensionierte, dunkelblonde Schopf macht sie verrückt, sie will ihn besitzen, sich diesen ganzen geschundenen Körper einverleiben, und das gelingt ihr ja auch: Jochanaan wird geköpft, sie küsst den bluttriefenden, an einem Metzgerhaken baumelnden Schädel so grauslich realistisch, dass sich manche Zuschauerin entnervt abwendet.
Her mit dem Propheten
Eine fesselnde "Salome" ist Barrie Kosky und seinem Team da gelungen, radikal gedacht und gemacht, wie es sich für dieses expressionistische Werk gehört. Stark und von der Lichtregie (Joachim Klein) präzise gesteuert, wenn sich der Scheinwerferkegel bisweilen so sehr verengt, dass er nur noch eine Hand erfasst, zwei Köpfe oder einen Haken. Die kanadische Sopranistin Ambur Braid in der Titelrolle steigt für eine Koloratur-Sopranistin überraschend viele Etagen in die Tiefe, so dunkel und schattiert hört sich ihre Stimme an. Das irritierte wohl einzelne Zuschauer, passte aber hervorragend zu diesem Rollenporträt. Unglaublich beeindruckend, wie sie knapp zwei Stunden fast durchgehend auf der Bühne - eben nicht nur stand, sondern tanzte, zitterte, rollte, hockte, grätschte und gurrte.
Wühlen im Schopf
Sehr überzeugend auch Christopher Maltman als Jochanaan: Von imponierender Ausstrahlung, maskulin, selbstbewusst, wenig Prophet, viel Rebell. Auch AJ Glueckert als Herodes und Claudia Mahnke als dessen Frau Herodias waren keine überdrehten Karikaturen, keine Monster, sondern eher etwas blasierte Führungskräfte zwischen Langeweile und Abenteuerlust.
Strauss-Partitur als Rodeo
Dirigentin Joana Mallwitz nahm diese wild bewegte Richard Strauss-Partitur wie ein Rodeo, so emsig, lustvoll und ausladend feuerte sie das Orchester an. Bei Verdi ist Mallwitz bisweilen deutlich zu forsch und laut, bei der "Salome" ist dieser Ehrgeiz bestens aufgehoben, zumal, wenn Sänger besetzt sind, die trotzdem noch verständlich sind. Insgesamt ein furioser Abend, eine beglückende Gesamtleistung und ein überzeugender Erfolg für die Oper Frankfurt.
Wieder am 5., 8., 13. und 20. März 2020 an der Oper Frankfurt, weitere Termine.
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