Die "Alternative für Deutschland" (AfD) gibt gern vor, das "Sprachrohr der kulturell Entfremdeten" in diesem Land zu sein. Dass ihr amtierender Bundesvorsitzender dann nicht in der Lage ist, auf Nachfrage eines Kinderreporters sein deutsches Lieblingsgedicht zu nennen, konterkariert diesen Anspruch natürlich aufs Allerschönste.
Alexander Gauland: Von "Gentlemandarsteller" zum Kulturkämpfer
Vielleicht ist die AfD, könnte man Tino Chrupalla entgegnen, dann doch eher die Stimme der politisch Kulturlosen als die der "politisch Heimatlosen", wie Chrupalla behauptet. Aber ganz so einfach ist es nicht, denn die AfD hat ihre rechtsintellektuellen Stich- und Schlagwortgeber, und ihre graue Eminenz ist bis heute ein 81-jähriger Herr, der "früher ein gern gesehener Gast im Feuilleton" war, wie der FAZ-Feuilletonist Patrick Bahners schreibt.
Ja, lange vor Gründung der AfD ist er sogar von Suhrkamp verlegt worden: Alexander Gauland. Gerade diese Figur des vormaligen Staatssekretärs, "Gentlemandarstellers" und jetzigen Bundestagsabgeordneten Alexander Gauland beschäftigt Patrick Bahners sehr stark in seinem soeben veröffentlichten instruktiven Buch "Die Wiederkehr. Die AfD und der neue deutsche Nationalismus".
Walser, Tellkamp, Sarrazin: Wegbereiter und -begleiter der AfD
Alexander Gauland ist, was Bahners in Erinnerung ruft, der literarischen Öffentlichkeit dieses Landes zunächst als Romanfigur begegnet, in Gestalt des Staatssekretärs Tronkenburg in Martin Walsers Schlüsselroman "Finks Krieg" (1996). Gauland hatte sich damals quasi selbst geoutet im Feuilleton der FAZ als Vorlage für diese Romanfigur ("Ich war Tronkenburg"). Zwei Jahre später, 1998, hielt Walser seine berühmt-berüchtigte Friedenspreis-Rede und brachte mit dieser einen Begriff in Umlauf, den nicht nur AfD-Politiker heute gern in den Mund nehmen: "Moralkeule".
Nolens volens wurde der Schriftsteller Walser, "der unbesiegte Dickkopf der Debattengeschichte", mit dieser Wortprägung einer der "Türöffner" der AfD, so Bahners in seinem lesenswerten Buch. Der Dresdner Autor Uwe Tellkamp, den Bahners in einem treffenden Bild als "verkrümmten Zinnsoldaten" porträtiert, wäre ein anderer Autor, der gern das Phantasma von angeblichen Denk- und Redeverboten hierzulande penetriert. Auch Bestsellerautoren wie Thilo Sarrazin trugen laut Bahners zum Erfolg der AfD bei, indem sie nationalistische Redeweisen normalisierten – der AfD-Slogan im Bundestagswahlkampf 2021 lautete: "Deutschland. Aber normal".
Keimzelle der AfD im FAZ-Feuilleton?
Konrad Adam, Bahnersʼ früherer Kollege im dem Feuilleton der FAZ, war 2013 eines der Gründungsmitglieder der AfD, und wie man diesem Buch entnehmen kann, hat Konrad Adam bereits in den neunziger Jahren zusammen mit Alexander Gauland die "Gründung einer bürgerlichen Alternativpartei sondiert": "Das Projekt unter der Schirmherrschaft des FAZ-Herausgebers Joachim Fest hatte einen Decknamen, wie er in der Autoindustrie und in der Zeitschriftenbranche im Probebetrieb üblich ist: 'Die Entschlossenen'. Es fehlte ihnen dann die Tugend, die sie mit dem Namen reklamierten."
Findet die "Keime" der AfD in der eigenen Zeitung: FAZ-Feuilletonist Patrick Bahners
Einer der Söhne Joachim Fests, Nicolaus Fest, sitzt heute für die AfD im Europaparlament. Das klingt fast, als läge eine Keimzelle der AfD im FAZ-Feuilleton. Im Gespräch mit dem BR sagt Bahners: "Da würde man vielleicht auch noch andere Keime finden. Einer der wichtigsten Autoren der Neuen Rechten, der 2022 verstorbene Günter Maschke, war in den 70ern und 80ern ein regelmäßiger Mitarbeiter des FAZ-Feuilletons. Unter dem damaligen erzliberalen Feuilletonchef Günther Rühle gehörte so eine rechtsintellektuelle, provokative Stimme dazu zum vollständigen Meinungsspektrum.
Aber auch über die FAZ hinaus hat es in der bürgerlichen Welt damals immer wieder die Vorstellung gegeben, eigentlich müsste man eine neue bürgerliche Partei gründen, die wieder anschließt an das Kämpferische. Die große Frage an die Parteienhistoriker ist, warum es bei so vielen Rohrkrepierern unter den sogenannten vierten Parteien bei der AfD geklappt hat."
Was der Donaldist Bahners über die AfD herausfindet
Patrick Bahners ist einer der führenden deutschen Donaldisten. Als solcher kennt er sich bestens aus in der Erika-Fuchs-Übersetzung der Donald-Duck-Comics von Carl Barks. An einer amüsanten Stelle seines Buches spekuliert er über eine Donald-Duck-Figur mit dem sehr seltenen althochdeutschen Vornamen Berengar: Dieser fiktive Schurke Berengar Bläulich aus der Geschichte "Donald Duck und der goldene Helm" könnte, so vermutet Bahners, ein reales Vorbild in Gestalt des Swinemünder NS-Bürgermeisters Berengar Elsner von Gronow (1903-1981) haben, von dem Erika Fuchs in ihrer Jugend gehört oder gelesen haben könnte.
So viel immerhin steht fest: "In den nachmittelalterlichen Chroniken der deutschen Länder haben die Berengare sich rar gemacht." Und das Bemerkenswerte für Bahners und seine Leser ist: Jener Berengar Elsner von Gronow wiederum hat einen gleichnamigen Enkel, der von 2017 bis 2021 für die AfD als Abgeordneter im Deutschen Bundestag saß.
Sloterdijk über die AfD: "Sammelbecken für alle Arten von Dumpfheiten"
Mit dem Philosophen Peter Sloterdijk, der der Doktorvater des AfD-Kulturpolitikers Marc Jongen gewesen ist, sympathisiert Patrick Bahners in seinem Buch zwar nicht allzu sehr, aber im Gespräch mit dem BR erkennt er durchaus an, wie "hellsichtig" Sloterdijk 2013 bereits in seinen Notizbüchern "Neue Zeilen und Tage" über die AfD schrieb.
Am 25. April jenes Jahres hielt Sloterdijk fest: "Man sagt gern, ein 'neuer Nationalismus' sei auf dem Vormarsch. Der Ausdruck ist bedenklich, weil der Nationalismus, wie man ihn kannte, expansionistisch, megalomanisch und heroisch gesinnt war, während der neue unmissverständlich defensiver, ängstlicher, stubenhockerischer Natur ist, zumindest in Europa. In der BRD zeigt er bisher konfuse Umrisse. Die im Februar gegründete europakritische Alternative für Deutschland könnte ein Sammelbecken für alle Arten von Dumpfheiten und Ängsten werden. Vielleicht hat sie das Zeug zu einem deutschen Front National. Aber ob in Frankreich oder hier: Sich von solchen Tendenzen etwas zu erhoffen, das wäre, als ob die Römer die Goten bäten, das Reich zu retten."
"Die Wiederkehr": Cover des AfD-Buches von FAZ-Redakteur Patrick Bahners
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Patrick Bahners' "Die Wiederkehr. Die AfD und der neue deutsche Nationalismus" ist bei Klett-Cotta erschienen und kostet 28 Euro.