T.C. Boyle
Bildrechte: BR

T.C. Boyle

Artikel mit Video-InhaltenVideobeitrag

Die Natur schlägt zurück: "Blue Skies" von T.C. Boyle

Dauerregen in Florida und in Kalifornien sengende Hitze: T.C. Boyles neuer Roman spielt in Klimazonen, die durch Naturkatastrophen schier unbewohnbar werden. Aber das Mitgefühl ist bei all denen, die dagegen ankämpfen.

Über dieses Thema berichtet: Diwan - Das Büchermagazin am .

Dem kleinen Zeckenbiss schenkt Cooper nicht weiter Beachtung. Das hat fatale Folgen, am Ende verliert er seinen ganzen Arm. Nicht einmal sein Vater, der Arzt ist, kann ihm helfen. Im Krankenhaus versagen die Medikamente.

Cooper ist passionierter Insektenforscher und muss erleben, wie die Natur zurückschlägt. Denn was sich in Form eines zunächst harmlosen Zeckenbisses ankündigt, ist ein Hauptmotiv in Boyles neuem Roman: Die Natur – so wird schnell klar – ist entfesselt, bringt Krankheit, Versehrung und Tod.

Neues Buch von T.C. Boyle – Kapriolen der Natur

Schon der Buchtitel "Blue Skies" ist ein beißend ironischer, denn der strahlend blaue Himmel meint nicht mehr die sonnenverwöhnte kalifornische Kulisse wie in vielen von Boyles früheren Büchern. Er ist Synonym geworden für austrocknende Hitze, tobende Stürme und im Zuge dessen für verheerende Waldbrände. Es ist nicht das erste Mal, dass T.C. Boyle die Klimakrise thematisiert. Und so ist die Natur hier einmal mehr fast so etwas wie ein eigener, kapriolischer Akteur, von dessen Launen die Existenz aller übrigen Romanfiguren abhängen.

"Ich erzähle von ganz normalen Leuten, die versuchen, mit den Klimaveränderungen klarzukommen, mit dem Artensterben, mit den zur Neige gehenden Lebensmittel-Ressourcen, dem verrücktspielenden Wetter", sagt Boyle. Und so fokussiere sich das Buch auf eine einzige Familie, die Cullens. Ottilie, die Mutter, die in den Sechzigern ist, versucht – so gut es geht – die Umwelt zu erhalten. Zuletzt hat sie Insekten als Nahrungsmittel entdeckt. Ihre Tochter Cat, die die eigentliche Heldin des Buches ist, wird demnächst von Kalifornien an die Küste Floridas ziehen, wo die Mutter ihres Verlobten gestorben ist und ihnen ein Haus direkt am Strand vererbt hat.

"Das Feuer war bereits auf dem Hügelkamm"

Nicht von ungefähr hat Erfolgsautor Boyle seine Geschichte in zwei verschiedenen Klimazonen angesiedelt: Florida versinkt im sintflutartigen Dauerregen. In Kalifornien – bei Ottilie, ihrem Sohn Cooper, ihrem Mann Frank – herrschen Dürre und unbarmherzige Hitze.

Wie ein unerbittliches Fanal sprengt ein verheerender Waldbrand ausgerechnet Cats kalifornische Hochzeitsgesellschaft: "In diesem Augenblick ertönten Sirenen, und ihr Vater ging zur Hintertür und riss sie auf, ob das nun ratsam war oder nicht und im Handumdrehen standen sie alle auf der Terrasse. Der Wind schleuderte ihnen alles Mögliche um die Ohren, der Rauch brannte in ihren Nasen und Kehlen. Flüche erklangen. Der Wind heulte. Und das Feuer war bereits auf dem Hügelkamm hinter ihnen und machte die Nacht zum Tag."

Die Welt, eine unbewohnbare Klimazone

Auch das gerade geerbte Beachhouse im fernen Florida, früher der Inbegriff von unberührter Naturnähe, bietet keinen Schutz vor den Naturkatastrophen. Wütende Stürme spülen Wassermassen gegen die hölzernen Stützpfähle. Termiten nisten sich im feuchten Holz ein. Nach und nach haben Cats Nachbarn ihre Strandhäuser für unbewohnbar erklärt und verlassen. Sie bleibt, bekommt Zwillinge, zwei Mädchen, aber eines Abends findet sie eines von ihnen reglos am Boden. Das Gesicht blutüberströmt, in Klammergriff genommen von Cats Riesenschlange Willie, die aus dem Terrarium ausgebrochen ist.

Plötzlich kehrt sich Cats Welt um. Eben noch ist sie ein Upcoming-Star der Influencer-Szene gewesen, bestaunt als stolze Mutter von zwei süßen Mädchen. Jetzt wird sie als Mörderin beschimpft – auch wenn sie ein Gericht freispricht.

T.C. Boyle verpackt seine Geschichte in eine hyperrealistische Szenerie, die nur an ihren extremen Endpunkten in die nahe Zukunft weist – der Welt als einer unbewohnbaren Klimazone: "Obwohl die Straße unter Wasser stand, war sie mit Wagen verstopft, die sich wie Boote in der Bucht aneinander vorbeischoben", heißt es in "Blue Skies". "Die einzige Parklücke war vor dem Geschäft. Cat stieg aus, das Wasser reichte ihr bis zu den Schienbeinen und war kalt, aber relativ sauber, im Gegensatz zu der schwarzen Brühe in Städten wie Miami, das so mit Fäkalien und Industrieabfällen verdreckt war, dass man sie lieber nicht an seine Haut ließ."

Ein flammendes Pamphlet

Boyles Erfolgsrezept, das menschliche Gefühlschaos in all seiner Absurdität und Widersprüchlichkeit aufzudröseln und so Leserinnen und Leser zur unbedingten Empathie mit den Figuren zu drängen, greift auch hier. "Blue Skies" liest sich durch immerwährend neu aufgebaute Kausalketten ebenso soghaft wie flüssig.

Aber dann und wann schiebt sich Boyles Klimasetting vor seine Familienfiguren, verdeckt ihre charakterliche Feinzeichnung. Dann wird der erhobene Zeigefinger, mit dem Boyle gegen jegliche Klimaleugner anschreibt, allzu deutlich. Und aus dem prophetisch aufgeladenen Buch ein flammendes Pamphlet. Die Engführung von Klimakatastrophe und menschlicher Tragödie – so sinnfällig sie im Moment auch scheint – verkommt dann zum allzu dick aufgetragenen Setting. Wie von einem Orkan werden viele Zwischentöne weggefegt. Und die Literatur muss letztlich auf der Strecke bleiben.

 T.C. Boyle, Autor
Bildrechte: dpa-Bildfunk/Britta Pedersen
Artikel mit Audio-InhaltenAudiobeitrag

Autor T.C. Boyle

Verpassen war gestern, der BR Kultur-Newsletter ist heute: Einmal die Woche mit Kultur-Sendungen und -Podcasts, aktuellen Debatten und großen Kulturdokumentationen. Hier geht's zur Anmeldung!

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.