Szene aus dem Film "Die Frau im Nebel"
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Szene aus dem Film "Die Frau im Nebel"

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"Die Frau im Nebel": Ein subtiles Kinokunstwerk

Nach sechsjähriger Kino-Auszeit kehrt der südkoreanische Filmemacher Park Chan-wook mit "Die Frau im Nebel" zurück auf die große Leinwand. Ein raffinierter Kriminalfilm mit integrierter Amour fou.

Wer sich mit den Filmen des südkoreanischen Regisseurs Park Chan-wook ein wenig auskennt, denkt wohl zunächst an die Rache-Trilogie. Allen voran an "Oldboy", an Gewaltexzesse, einen zur Waffe umfunktionierten Hammer, spritzendes Blut. Auch 20 Jahre nach seinem internationalen Durchbruch sind Blut und durch Fremdeinwirkung Verstorbene wiederkehrende Motive in seinem Werk.

Allerdings wird das brutale Töten nicht mehr so akribisch inszeniert wie früher. Park Chan-wook wird älter, seine Filme werden ruhiger – und so begnügt sich der heute 59-Jährige damit, widernatürliche Sterbeprozesse fast schon beiläufig in die Handlung zu integrieren.

Leicht altmodisch anmutender Film Noir

Auf den ersten Blick ist Park Chan-wooks neuer Film "Die Frau im Nebel" ein leicht altmodisch anmutender Film Noir. Hauptfigur ist Jang Hae-joon, ein archetypischer Kriminalkommissar: Er folgt einem strengen moralischen Kodex, wählt bei seinen Ermittlungen niemals den einfachen Weg, ist fokussiert und diszipliniert bis zur Emotionslosigkeit.

Wie so oft in Park Chan-wooks Filmen ist auch dieser Protagonist ein Mann mit Hang zur Obsession: das Nachdenken über ungeklärte Fälle raubt ihm seit geraumer Zeit den Schlaf, in der Wohnung hängen dutzende Tatort-Fotos, seine Frau sieht er nur am Wochenende. Ein auf Analyse und Struktur aufgebautes Leben, das durch die junge Witwe eines Hobby-Bergsteigers aus dem Tritt gerät.

Das Publikum wird zum Ermittler auf Emotionsebene

Auch sie ist eine soziale Außenseiterin: Als Chinesin in Korea kennt sie das Gefühl des Verlorenseins, erlaubt sich keine Fehler und wahrt kühle Distanz zu allem, was ihr schaden könnte. Doch trotz gewisser persönlicher Parallelen bleibt die unter Mordverdacht stehende Frau dem Kommissar, der sie nächtelang observiert, ein Rätsel – der ideale Nährboden für irrational wuchernde Leidenschaft.

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Szene aus dem Film "Die Frau im Nebel"

Das verbindende Element zwischen dem Kommissar und dem Objekt seiner Ermittlungen ist die zutiefst poetische Einladung von Park Chan-wook an die Zuschauer. Denn in "Die Frau im Nebel" geht es um weit mehr als die Frage, ob die Witwe Leidtragende oder Täterin ist. Das Kinopublikum wird zum Ermittler auf Emotionsebene. Es darf herausfinden, ob die Beziehung der beiden Hauptfiguren Zukunft hat oder zum Scheitern verurteilt ist. Hinweise verstecken sich in kleinsten Details, wiederkehrenden Bildmotiven und scheinbar unbedeutenden Szenen.

Am auffälligsten sind die Grüntöne, die den Film überlagern und an "Vertigo" erinnern: Wiederholt hat Park Chan-wook den von Obsessionen handelnden Hitchcock-Klassiker als jenes Werk bezeichnet, das ihn zum Filmemachen inspiriert hat. Das Farbschema findet sich immer wieder in seinen Filmen, transportiert einerseits Unbehagen, symbolisiert andererseits das Unergründliche der Figuren.

Eine Vielzahl sinnlicher Momentaufnahmen

Erst auf den zweiten Blick zeigt sich die Bedeutung der Elemente Wasser und Luft: Während der Kommissar auf Bergen und Anhöhen Momente größter Klarheit hat, wird die Witwe fortlaufend mit Wasser und den gefährlichen Abgründen des Meeres in Verbindung gebracht. Ergänzt wird diese Charakterisierung durch eine Vielzahl sinnlicher Momentaufnahmen, wie jener, in der sanft Luft auf ein wasserabweisendes Pflaster geblasen wird.

Das tragische Potenzial solcher Metaphern offenbart sich erst beim verblüffenden Ende dieses subtilen Kinokunstwerks: Die symbiotische Verbindung zwischen den beiden kann und darf nicht von Dauer sein. Sie ist zum Untergang verdammt – wie ein Sandkorn am Strand, das von der Brandung ins Meer gezogen wird.

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