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Kommentar: Die Frau als Beifang oder Sexismus leicht gemacht

#me-too: Warum dieser Aufschrei der Frauen jetzt? Haben wir nur vergessen, wie sexy das Spiel mit der Macht ist? Gerade mit Künstlern, wie Thea Dorn kürzlich erinnerte. Aber sind Künstler jenseits von Gut und Böse? Ein Kommentar von Martin Zeyn

Über dieses Thema berichtet: Kulturjournal am .

Warum jetzt? Weshalb dieser Aufschrei? Jahrhundertelang wehrte sich die Frau erst, zierte sich ein bisschen, dann gab sie sich dem brünstigen Manne hin. Behaupten die Männer. Warum also 2017? Weshalb regen sich jetzt alle über Männer auf, die Sex als Tribut für ihre Großartigkeit einfordern? Weil wir ein Teil der Empörungsgesellschaft geworden sind? Oder weil Frauen geschockt davon sind, dass wir immer noch in einer postfeudalen Gesellschaft leben, in der sich die Mächtigen herausnehmen, das Recht auf eine Nacht zu haben? Oder ist es ganz anders: Sind wir alle wischi-waschi und wissen nicht mehr, wie sexy das Spiel mit der Macht ist? Gerade in der Kunst, wie Thea Dorn im DLF lautstark behauptete:

"Seit wann ist Kunst eine Benimmschule? Wenn wir jetzt anfangen in der Kunst alle die, die salopp gesagt, Arschlöcher sind, herauszuschneiden, dann fürchte ich, dass es in unseren Bibliotheken, in unseren Museen, in den Kinos wahnsinnig leer wird." Thea Dorn

Der geniale Künstler darf (fast) alles

Thea Dorn verdient Lob, weil sie mit dem Vorurteil aufräumt, Frauen seien bloß Opfer männlicher Balzrituale. Das ist nämlich nur die Rückseite der sexistischen Behauptung: Eigentlich wollen sie es doch auch. Passiv erscheinen sie hier wie dort. Aber wie begründet Thea Dorn das? Indem sie den muffigen Mythos vom Künstler hervorholt, der seit der Romantik einen Sonderstatus in der bürgerlichen Gesellschaft genießt. Ein Künstler darf sich ruinieren, er darf sich verausgaben, er darf, last but not least, seine Sexualität außerhalb jeder Norm ausleben. Aber was heißt das? Kevin Spacey ist ein großartiger Schauspieler. Er darf nach Thea Dorn.

Jenseits von Gut und Böse?

Aber was ist mit Harvey Weinstein? Ist er als Produzent ein Künstler? Durfte er also oder darf er nicht? Und was ist mit den ganzen so genannten Kreativen? Dürfen die? Das schillernde Argument des jenseits aller Moralität agierenden Künstlers funktioniert so gar nicht. Trotzdem hat Thea Dorn Recht, wenn sie den Moralisten vorhält, es sich zu leicht zu machen.

"Vor 30, 40 Jahren hat man dem Künstler zugestanden, gewissermaßen ein 'halber Outlaw' zu sein. Mittlerweile, in unserer eben – wie ich sagen würde – hysterisch-bigott hypermoralisierten Gesellschaft, wo wir angeblich so viel toleranter sind und libertärer, erwarten wir von einem Künstler, dessen Antriebskraft natürlich auch das Abgründige sein muss, die Lust daran, über die Stränge massiv zu schlagen, - das sollen auf einmal alles brave Schwiegersöhne und Benimmlehrer sein?" Thea Dorn

Klare Räume schaffen!

Doch Thea Dorn hat kein Recht mit ihrem Verteidigen der Übertretung. Denn was sie beschreibt, hat wenig mit Künstlertum zu tun. Es gibt unter den guten Künstlerinnen und Künstlern nämlich sehr viele höfliche und korrekte. Was Dorn beschreibt, ist ein männliches Bild von Sexualität, zumindest ein egomanisches. Eines von mächtigen Menschen, die Macht als Freibrief verstehen. Die Frauen als Beute ansehen. Oder zumindest als Beifang. Und die dafür keinen Künstlernimbus brauchen, ja, nicht einmal irgendeine Begabung in irgendeinem Bereich. Und nebenbei, Machotum gibt es auch bei Frauen und Schwulen. Frau Dorn, Sie sind der unterhaltsamste Lieblingsmacho der Medien, aber trotzdem: Normverletzung ist kein Privileg von großen Geistern. Die allermeisten Normverletzungen sind saublöd und so wenig schillernd wie die Holzvertäfelung in Swingerclubs. 

Was also tun? Klarheit schaffen. Denn es gibt klare Räume. Wer zu einer schwulen Sexparty geht, wo die Männer wenig anhaben, weiß, dass er ungefragt angelangt werden kann, wer eine öffentliche Sauna betritt, wo die Menschen gar nichts anhaben, kann sicher sein, hier nicht angefasst, ja, nicht einmal genau angeschaut zu werden.