Dieser Stoff hat etwas Theatrales: Acht Frauen sitzen in einer Scheune und reden. Der deutsche Titel "Die Aussprache" klingt verglichen mit dem Original etwas gehaltlos. Die US-Fassung heißt "Women Talking", was treffender ist: Frauen sprechen. Sie ergreifen das Wort. Sie wollen nicht mehr schweigen.
Kämpfen oder sich fügen?
Die Geschichte basiert auf realen Ereignissen – nämlich der massenhaften Vergewaltigung von Frauen und Mädchen in einer mennonitischen Gemeinde in Bolivien zwischen 2005 und 2009. Die Männer betäubten und penetrierten sie im Schlaf. Unfassbar! Aber Regisseurin Sarah Polley macht daraus kein erregtes Sexismusdrama, sondern einen eher unaufgeregten Film, der mit seiner Subtilität emotional unter die Haut geht und tief in die Seele trifft. Er zeigt keine Vergewaltigungen. Durch die Reduzierung auf klug geschriebene und montierte Gespräche knüpft "Women Talking" eher an die Tradition des amerikanischen Gerichtsfilms an. Die Frauen stimmen darüber ab, ob sie kämpfen, sich fügen oder gehen sollen. Und sie sinnieren, sollten sie gehen, ob ihnen in der Folge das Paradies verschlossen bliebe.
Eher Gerichtsdrama als Kammerspiel
Die Schauspielerin Frances McDormand kaufte die Rechte an dem Roman von Miriam Toews – als ausführende Produzentin und Mitstreiterin holte sie Dede Gardner an Bord, die in Hollywood als leidenschaftliche Kämpferin für diverse und emanzipatorische Stoffe gilt. Sie produzierte den Oscargewinner "Moonlight" von Barry Jenkins oder zuletzt die #MeToo-Geschichte "She said" von Maria Schrader. Bei "Women Talking" achtete sie von Anfang an darauf, dass der Film nicht zu einem filmischen Kammerspiel würde.
Sie habe die Kolonie und alle Geschichten darin vorab gezeichnet, erzählt Dede Gardner, sie habe Skizzen angefertigt und Diagramme der Beziehungen zwischen den Frauen. Es sei wie die Animation des Buches gewesen – und so habe sie nie Zweifel gehabt, dass der Stoff sich als unfilmisch erweisen könnte. Irgendwann hätten sie dann einfach beschlossen, es zu probieren.
Große epische Bilder
Der perlende und manchmal beschwingt klingende Soundtrack der isländischen Musikerin Hildur Guðnadóttir, die vor drei Jahren für "Joker" einen Oscar gewann, ist ein stimmiger Kontrapunkt zur Schwere des Themas. Und der kanadische Kameramann Luc Montpellier findet zu dieser Musik bei Fahrten durch Felder und entlang von Wiesen immer wieder epische große Kinobilder, die aus einem Western stammen könnten.
Die Gespräche zwischen den Frauen in der Scheune, unterteilt in drei Blöcke, sind dann ganz pur im steten Wechsel von Halbtotalen und Nahaufnahmen inszeniert. Die Farben reduziert, manchmal ins Gräuliche, manchmal ins Sepiahafte gehend. Regisseurin Sarah Polley, die als junge Frau auch schon im Büro von Harvey Weinstein saß, aber einen Aufpasser dabei hatte, damit nichts passieren konnte, inszeniert das als so angespannten wie spannenden Schlagabtausch: Gehen oder bleiben? Inhaltlich kippt das manchmal ins Schwarz-Weiße, die Charaktere etwa sind zu prototypisch angelegt – die Kämpferin, die Träumerin, die Nüchterne – aber das grandiose Ensemble fängt das auf: Neben Frances McDormand vor allem Claire Foy und Rooney Mara. Sarah Polley meint, der Film sei tatsächlich im Kollektiv entstanden, sei eben auch im übertragenen Sinne sehr vielstimmig – jeder habe mit seinen Ideen, Gedanken und Träumen dazu beigetragen.
"Women Talking" ist absolut sehenswert. Es lohnt sich, den Film in der OmU-Fassung anzuschauen, als eine zeitlose Fabel, in der neben sexualisierter Gewalt ein Grundprinzip der Demokratie verhandelt wird: Reden und zuhören.
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