Tel Aviv Ende Januar 2023: Proteste gegen die neue Regierung von Benjamin Netanjahu
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Tel Aviv Ende Januar 2023: Proteste gegen die neue Regierung von Benjamin Netanjahu

    Deutsche Wissenschaftler um Demokratie in Israel besorgt

    Nicht nur in Israel selbst, auch in Deutschland blickt man besorgt auf die Rechtskoalition von Benjamin Netanjahu. 40 Wissenschaftler melden sich nun in einem offen Brief zu Wort. Tenor: Die neue rechts-religiöse Regierung gefährdet die Demokratie.

    In einem am Montag veröffentlichten Brief zeigen sich 40 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Deutschland solidarisch mit israelischen Intellektuellen, die sich mit Blick auf angedachte Reformen in Israel kritisch geäußert hatten. Man unterstütze die Kollegen "in ihrem Kampf um den Fortbestand der Demokratie in Israel", heißt es.

    Geplante Justizreform bedroht Gewaltenteilung

    Im Fokus steht die geplante Justizreform und die damit verbundene Sorge vor einem politischen Systemwechsel. Die Rechtskoalition unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu plant eine Gesetzesänderung, wonach das Parlament mit Zweidrittelmehrheit das Oberste Gericht überstimmen kann. Faktisch komme das einer Aushöhlung der Gewaltenteilung gleich.

    "Gerade vor dem Hintergrund der besonderen Beziehung zwischen Deutschland und Israel", heißt es in dem Schreiben, "verurteilen wir diesen Versuch, die Grundpfeiler der israelischen Demokratie zu beschädigen." Initiiert hat das Schreiben der Direktor der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt, Meron Mendel. Von einer "wichtigsten und kritischsten Zeiten seit der Gründung dieses Staates" sprach Mendel im Deutschlandfunk. "Jetzt steht wirklich zur Debatte, ob Israel nach 75 Jahren eine Demokratie bleibt oder der demokratische Kern ausgehöhlt wird."

    Brumlik, Assman und Zadoff zählen zu den Unterzeichnenden

    Den Aufruf unterstützen unter anderen prominente Hochschullehrer wie Aleida und Jan Assmann, Micha Brumlik, Nicole Deitelhoff, Naika Foroutan, Carlo Masala, Armin Nassehi sowie Mirjam und Noam Zadoff. Sie alle verweisen auf Briefe israelischer Intellektueller, unter anderem ein Schreiben der Präsidenten israelischer Universitäten an die Regierung sowie einen Brief von 200 Juristen.

    Aus diesem zitieren die deutschen Wissenschaftler wie folgt: "Die Vorschläge, der Regierung die absolute Macht bei der Ernennung von Richtern zu geben, die nahezu vollständige Abschaffung der juristischen Kontrolle, die Abschaffung der institutionalisierten juristischen Beratung, die Untergrabung der freien Presse - diese Maßnahmen würden bedeuten, dass es in Israel keine unabhängige Justiz, keine Gewaltenteilung und keine Rechtsstaatlichkeit mehr gibt." Und weiter: "Es gibt keine Demokratie auf der Welt, die unter diesen Bedingungen existiert."

    Soziologe Natan Sznaider äußert sich im BR-Interview

    Gegenüber dem BR hatte sich der israelische Soziologe Natan Sznaier Anfang Januar ähnlich geäußert. "Alles ist möglich, alles kann passieren", so Sznaider mit Blick auf die neue Regierung. Hoffnung verbinde er immerhin damit, dass sich die Rechtskoalition den liberalen Stimmen nicht ganz verschließen könnte. Dafür sei das liberale Zentrum Tel Aviv als Technologie- und Rüstungsstandort zu relevant für die Wehrhaftigkeit Israels. Letztlich setze er darauf, "dass diese Regierung sich selbst zerfleischt und bald zur Geschichte gehören wird."

    Mit Material von KNA.

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