Will man hier arbeiten? Die Beschäftigungspraxis an deutschen Universitäten steht in der Kritik
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Will man hier arbeiten? Die Beschäftigungspraxis an deutschen Universitäten steht in der Kritik

    "Der wissenschaftspolitische Wahnsinn ist jetzt ampelfarben"

    Am Freitag hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) öffentlich gemacht, wie es sich die Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes vorstellt. Bei vielen Forschenden erzeugen die Pläne jedoch nur Kopfschütteln.

    Die Reaktionen sind vernichtend. "Der wissenschaftspolitische Wahnsinn ist jetzt ampelfarben", kommentiert etwa der Globalhistoriker Jürgen Zimmerer, Professor in Hamburg, auf Twitter die Pläne des Bundesministeriums für Bildung und Forschung für eine Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG). Die geplante "Verschärfung" bedeute für die Betroffenen "Not und Elend", meint Elif Oezmen, sie mache "Nachwuchsförderung geradezu verantwortungslos", schreibt die Gießener Philosophieprofessorin ebenfalls auf Twitter.

    Kritik an der Befristungspraxis in der Wissenschaft

    Am Sonntagnachmittag wurde außerdem eine Stellungnahme von über 200 deutschen Professorinnen und Professoren (vornehmlich aus den Geistes- und Sozialwissenschaften) veröffentlicht, darunter bekannte Namen wie Paula Villa, Armin Nassehi oder Stephan Lessenich. Dort wird die angedachte Novelle als "Verschlimmbesserung" bezeichnet. Man solidarisiert sich ausdrücklich mit den Kolleginnen und Kollegen, die im wissenschaftlichen Mittelbau beschäftigt sind.

    Genau um die geht es nämlich: Unter dem Hashtag #IchBinHanna protestieren Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler seit Jahren gegen die prekären Arbeitsbedingungen an deutschen Universitäten. Im Fokus der Kritik steht vor allem die Befristungspraxis. Bis zur Professur hangle man sich von Kurzzeitvertrag zu Kurzzeitvertrag – wenn es denn überhaupt zur Professur kommt. Nur ein Bruchteil der wissenschaftlichen Mitarbeitenden ergattert nämlich am Ende einen der wenigen Lehrstühle. Der Rest wird heillos überqualifiziert auf den Arbeitsmarkt gespült.

    Geplant ist die Verkürzung der Postdoc-Phase

    Möglich macht das seit 2007 das sogenannte WissZeitVG, das besagt: Befristungen sind okay, solange man sich in der Qualifikationsphase befindet. Bedeutet: bis zum Abschluss der Habilitation. Insgesamt 12 Jahre hat man bislang dafür Zeit. Sechs für die Promotion, also den Doktortitel, sechs für die Habilitation. Wer danach keine Professur bekommt, kann nicht weiter befristet beschäftigt werden und fällt meist aus dem System.

    Was sieht nun also die Novelle vor? Ein zentraler Punkt ist die Verkürzung der Qualifikationsphase von 12 auf neun Jahre. Anstatt wie bisher sechs Jahre, soll man nach der Promotion künftig nur noch drei Jahre befristet beschäftigt werden können. Die Logik des Bildungsministeriums: So wird für die Betroffenen die Planbarkeit erhöht. Der wissenschaftliche Nachwuchs weiß früher, ob eine Karriere an der Uni möglich ist und kann sich – im negativen Fall – auch früher umorientieren.

    "Realitätsferne": Kritik an den Reformplänen des BMBF

    Das Argument ist bekannt. Im Sommer hatte die Hochschulrektorenkonferenz bereits einen ähnlichen Vorschlag gemacht. Und schon damals war der Aufschrei bei den Vertretern der Mittelbauinitiativen groß. Die Literaturwissenschaftlerin Kristin Eichhorn, eine der Mitinitiatorinnen von #IchBinHanna sagte damals dem BR: "Viele Leute haben Kurzzeitverträge, Teilzeitstellen, Phasen der Arbeitslosigkeit oder Stellen, auf denen sie sich eigentlich gar nicht qualifizieren können, sondern sehr viel Lehre machen müssen. Dann ist klar, dass das alles sehr viel länger dauert." Eine Verkürzung der Befristungszeit sei unrealistisch und erhöhe nur den Druck auf die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

    So ähnlich argumentieren jetzt auch die Professorinnen und Professoren in ihrer Stellungnahme. Zur geplanten Verkürzung der sogenannten Postdoc-Zeit auf drei Jahre schreiben sie: "Wir sind fassungslos angesichts der Realitätsferne, die sich darin zeigt". Ohne die Schaffung von mehr Dauerstellen jenseits der Professur sei eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Deutschland nicht zu haben.

    Bislang ist kein Kompromiss gelungen

    Bemerkenswert sind die Reaktionen auf das Eckpunktepapier des Bildungsministeriums auch deshalb, weil dem Ganzen ein sogenannter Stakeholderprozess vorausging, bei dem auch die Expertise derjenigen eingeholt wurde, die jetzt lautstark protestieren. Stand jetzt ist ein Interessensausgleich offenbar nicht gelungen. Oder wie Matthias Steinmetz, Direktor des Leibniz-Instituts für Astrophysik in Potsdam noch am Freitag twitterte: "Da ist kein Kompromiss, sondern das Gegenteil davon, nämlich die Summe der Regeln die keiner möchte."

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