Jahrzehntelang wurde Gustav Mesmer durch psychiatrische Anstalten gereicht, denn man hielt den Flugbesessenen für geisteskrank. "Seine Anfangsdiagnose in der Nervenheilanstalt Bad Schussenried war Schizophrenie bei einem von Haus aus schon schwachsinnigen Menschen, aber es konnte keiner im Nachhinein etwas feststellen", sagt Stefan Hartmaier, Vorstand der Gustav Mesmer-Stiftung in Kirchentellinsfurt bei Tübingen. Ob er von der Causa Gustl Mollath weiß? Oder vom Abram in Martin Sperrs Theaterstück: "Jagdszenen aus Niederbayern"? Sicherlich aber vom "pauvre Holterling", vom großen Dichter deutscher Zunge, Friedrich Hölderlin, der die Hälfte seines Lebens im berühmten Tübinger Turm zugebracht hatte. Auch Gustav Mesmer hat den wohl größten Teil seiner Lebenszeit in "Anstalten" zugebracht, verwahrt, weggesperrt, wohl, weil er seinen Träumen gefolgt ist; einer davon: dem Traum zu fliegen, ein anderer: sich als Mensch zu ermächtigen, göttlich begnadet zu sein: Er störte einen Gottesdienst in seiner Heimatgemeinde Altshausen, predigte, redete womöglich "in Zungen" und war deshalb bald ein Fall für die Psychiatrie.
Zeitgenossen hielten ihn für geistesgestört
Der Musiker Micha Acher hält Gustav Mesmer für einen "Komplettfreak": "Ich meine, der ist ja ein total eigener Typ, der im Dorf sicher auch anders behandelt worden ist als alle anderen. Die haben sich wohl gedacht, der hat einen Knall. Und ich finde: Besser geht’s nicht. Es ist ja immer etwas, was uns so anzieht, was man sucht oder worauf man immer wieder stößt: irgendwelche Typen, die auf ihre ganz eigene Weise einfach ihr Ding durchziehen, unbeirrt von allen Konventionen. Es geht nicht um Technik oder Perfektion: Musiker müssen nicht unbedingt perfekt spielen können und ihre Instrumente perfekt beherrschen, um berührende Musik zu machen. Und bei Mesmer ist das eben auch: Alles, was der macht, funktioniert ja nicht, und doch funktioniert es für ihn, also der macht seinen eigenen Kosmos auf."
Blick in die Ausstellung "Gustav Mesmer, der Ikarus vom Lautertal" in der Villa Stuck in München
Micha Acher ist Teil der weithin bekannten Weilheimer Szene, spielt im "Tied&Tickled Trio", in der "Hochzeitskapelle" und bei "The Notwist". Er hat, begleitend zur Ausstellung in der Villa Stuck, eine Konzertreihe kuratiert, die er "I Hear a New World - Musikmaschinen und DIY-Sounds" nennt: Ich höre eine Neue Welt: selbstgemachte, abartige, neue, ungehörte Klänge.
Seine selbstgebauten Instrumente sind berührend
Gustav Mesmer war auch so ein DIY-Artist, ein Do it yourself-Musikmaschinist: DIY, das ist ja ein Motto der Punk- und No wave-Bewegungen und meint genau das: Man muss nicht perfekt sein, sondern einfach sich trauen, machen, sich äußern. Gustav Mesmer äußerte diesen unbedingten Willen zur Freiheit von Konventionen und eben auch physikalischen Naturgesetzmäßigkeiten in unermesslich vielfältiger Weise: Er malte, fotografierte, modifizierte Uhrwerke und baute daraus Sprechmaschinen, machte aus Unrat, aus Müll, aus Abfall Musikinstrumente und Flugfahrräder. Das ist für Künstler wie Micha Acher natürlich interessant und herausfordernd, schließlich gehört er zur Generation DIY: Er veröffentlicht Musik auf dem eigenen Label "Alien Transistor". Acher hat die Musikinstrumente Gustav Mesmers ausprobiert und darauf eine, wie er sagt, berührende Musik erzeugen können, nachzuhören im Hörspiel: "Ich, Mensch, zu fliegen such", augenblicklich in der Villa Stuck und in der BR Mediathek. Neben den zahlreichen Exponaten absonderlicher Apparaturen, mit denen zu fliegen bestimmt nicht einfach sein dürfte, ist eine Anleitung zum Bau von Flugfahrrädern zu studieren, auf einer 16 Meter langen Tapetenrolle. Mesmer nannte das seinen "Tagesfilm" - und dabei einen Menschen zu entdecken, der wahrlich einen „Knall“ hatte, einen, der gefolgt sein muss auf Billionen Geistesblitze, anrührend, genialisch und in vielerlei Hinsicht prophetisch: Es ist Zeit, einen "von Haus aus Schwachsinnigen" wie Gustav Mesmer endlich zu rehabilitieren. Diese Ausstellung ist ein wichtiger Schritt dahin.
"Gustav Mesmer, der Ikarus vom Lautertal": Bis zum 10. Juli in der Villa Stuck in München. Die von Markus und Micha Acher kuratierte Veranstaltungsreihe dazu heißt "I Hear a New World". Außerdem gibt es ein BR-Hörspiel zu Gustav Mesmer: "Ich Mensch zu fliegen such" findet sich im BR Hörspielpool zum Download.
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