Politisch engagiert war Kenzaburo Oe von Anfang an: Der Kenner und Übersetzter von Jean Paul Sartre ging nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima für den Ausstieg aus der Kernenergie auf die Straße. 1994 erhielt der japanische Schriftsteller Kenzaburo Oe den Nobelpreis für Literatur. Jetzt ist der große japanische Schriftsteller im Alter von 88 Jahren gestorben, an Altersschwäche, wie sein Verlag mitteilte.
Kenzaburo Oe: Der Warner und Mahner
Bis ins hohe Alter war Oe ein Mahner und Warner und entschiedener Pazifist, woraus er auch keinen Hehl machte, als die regierenden Konservativen die pazifistische Nachkriegsverfassung in Frage stellten. So wurde Kenzaburo Oe so etwas wie das soziale Gewissen Japans, oder wie Oe selbst sagte: "als schwarzes Schaf der japanischen Literatur". Der frühere Bundeskanzler Willy Brandt verglich Oes Bedeutung in Japan mit "dem Netzbeschmutzer" in Deutschland, mit Günter Grass. Bei beiden Literaturnobelpreisträgern ging es stets auch um die die Lehren aus der schmerzlichen Vergangenheit ihrer Länder.
Doch Oes Blick fokussierte von Beginn auch die unmittelbare Gegenwart Japans. 1960 wurde dort der linke Politiker Asanuma Inejiro von einem jungen Rechtsradikalen bei einem Attentat getötet. Kenzaburo Oe machte aus dem 17-Jährigen Attentäter den Ich-Erzähler seiner eindrucksvollen Geschichte "Tod eines politischen Jungen", die knapp ein Jahr später in Japan erschien und für Aufsehen sorgte: Kaum jemand hatte sich zuvor so radikal in einen politischen Gegner hineingedacht, so differenziert die Psyche des Täter offengelegt.
Als die Regierung des kürzlich ermordeten rechtskonservativen Ex-Regierungschefs Shinzo Abe unter anderem ein Gesetz zur verschärften Bestrafung von Geheimnisverrat erließ und eine Stärkung der Rolle des Militärs vorantrieb, warnte Oe schon vor einem Rückfall Japans in die Zeiten, die zum Zweiten Weltkrieg führten. "Ich spüre, dass Japan an einem Wendepunkt angelangt ist".
Mitunter sperrige Texte
Oe blieb dabei, die Lesegewohnheiten seiner Leser zu frappieren: "Ich mache es meinen Lesern nicht leicht". Sein literarischer Rang war aber schon weit vor der Nobelpreisverleihung anerkannt: Henry Miller rückte Oe sogar in die Nähe eines Dostojewski. Oe selbst nannte seinen Erzählstil "grotesken Realismus" und berief sich dabei gern auf den französischen Dichter François Rabelais (1494-1553).
Von dem 1935 im heutigen Uchiko geborene Kenzaburo Oe erschienen in Deutschland unter anderem:
- 1958: "Und plötzlich stumm"
- 1964: "Agui, das Himmelsungeheuer"
- 1967: "Der stumme Schrei"
- 1990 "Stille Tage"
- 1995 Günter Grass, Ōe Kenzaburō: Gestern vor 50 Jahren. Ein deutsch-japanischer Briefwechsel
- 2018 "Der nasse Tod". Roman über meinen Vater
Mit Material der dpa.
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