Sie hat längst alle wichtigen Auszeichnungen bekommen: den Friedrich-Glauser-Preis, den Deutschen Krimi-Preis sowie den Martin Beck Award, den schwedischen Preis für den besten internationalen Kriminalroman. Nun legt die mittlerweile in einem Vorort von New York lebende gebürtige Regensburgerin Andrea Maria Schenkel einen neuen schmalen historischen Kriminalroman vor, mit dem sie womöglich an frühere Erfolge wie "Tannöd" (2006) und "Kalteis" (2007) anknüpfen kann.
In New York auf bayerischen Serienmörder gestoßen
Die 60-jährige Regensburgerin studiert in New York Liberal Arts und macht derzeit ihren Master. Bei der Recherche für einen Artikel für das Magazin "ZEIT Verbrechen", so erzählt sie dem BR, sei sie im Archiv der "New York Times" zufällig über die reale Geschichte "gestolpert", die die Grundlage für "Der Erdspiegel" bildet: "Ich bin dort auf einen alten Zeitungsbericht über den berühmten Jack-the-Ripper-Fall gestoßen. Darin wurde behauptet, dass der Londoner Serienmörder womöglich das copy cat eines früheren Falls sei, nämlich die Nachahmung eines Serien-Täters aus Regendorf bei Regensburg. Als ich da mit dem alten Zeitungsausschnitt im New Yorker Archiv saß, dachte ich mir: Das darf doch nicht wahr sein. Ich war wie vom Schlag gerührt. Ich hatte noch nie von einem Serienmörder aus Regendorf gehört."
Ein "Mädchenschlächter" und "Menschenfänger"
Ihre Neugierde auf die Geschichte dieses Serienmörders Andreas Bichel aus Regendorf Anfang des 19. Jahrhunderts war geweckt. "Der Erdspiegel" erzählt, wie dieser Viehhändler junge Frauen auf seinen Hof lockte unter dem Vorwand, ihnen die Zukunft weissagen zu können. Das könne er mittels eines magischen "Erdspiegels". Der Blick in jene Glasscheibe ermögliche es ihnen zu erfahren, ob sie ihre Liebe heiraten und wie ihr Leben weiter verlaufen werde.
Wir befinden uns in der Zeit, in der noch der Aberglaube herrschte: Wer zu lange in einen Spiegel hineinschaut, dem blickt irgendwann der Teufel über die Schulter. "Der Bichel", wie Schenkel ihn nennt, muss, so schreibt sie, ein "Menschenfänger" gewesen sein. Ein Mörder, der die Leichname seiner Opfer zerteilte und ihre Kleider verhökerte, der aber im Wirtshaus jede "Schankdirne" mit seiner erzählerischen Gabe um den Finger wickeln konnte.
Andrea Maria Schenkel, "Der Erdspiegel"
Große Liebe zum Dialekt
Scheinbar mühelos und mit nur wenigen Strichen, wenigen Worten gelingt es Schenkel, ein Zeitkolorit zu erzeugen. Sie setzt zum Beispiel alte, heute nicht mehr gebräuchliche Wörter wie "Godin" für "Taufpatin" oder "Grand" für Regentonne sehr dosiert ein; sie schreibt nicht "spuken", sondern "waizen". Andrea Maria Schenkel liebt den Dialekt ihrer Heimat, sagt sie im BR-Gespräch: "Meine Großmutter hat diese alte Sprache noch verwendet."
Um zu kennzeichnen, in welcher Zeit wir uns bewegen, wird einmal kurz erwähnt, dass Napoleon gerade Soldaten rekrutiert für seinen Russland-Feldzug. Doch die eigentlichen Wasserzeichen und Marker sind für Schenkel Wörter wie "Drud" (Hexe) oder das damals grassierende sogenannte "Frieselfieber", das ja schon Mozart hingerafft haben soll. Da nimmt man "sein Sach", da ist der Schuppen noch der "Schupfen", die Schürze noch das "Fürtuch". Wenn jemand vom Hof gejagt wird, dann wird er gut bairisch "fortgestampert": "Für mich sind diese Worte auch ein Stück Heimat."
Mehr ein literarischer Thriller als ein Krimi
Bemerkenswert bleibt, dass diese doch sehr regionalen Bezüge weit über Bayern hinaus die Leserinnen und Leser in den Bann schlagen. Hinzu kommt der sehr klare, einfache Stil, in dem Andrea Maria Schenkel auch ihren jüngsten Krimi schreibt. Der verdient eher ein literarischer Thriller genannt zu werden, weil der Mörder von Anfang an feststeht - nur nicht, was die Motive für diese fürchterlichen Femizide sind, wann seine schändlichen Taten entdeckt werden, wann der Mörder verhaftet und verurteilt wird. Schenkel lässt den Bichel seine Opfer gern ansprechen auf den langen und einsamen Fußwegen, die die Menschen damals zurücklegten zwischen Stadtamhof, Nittenau, Faulwies, Zeitlarn, Regendorf und wie die kleinen Weiler alle heißen. Vielleicht liest man diese Geschichte auch deshalb mit wohligem Schauer, weil die Kommunikationsformen noch gänzlich andere waren - wir müssen heute nicht mehr stundenlang laufen, um eine Nachricht zu überbringen - und die Zeiten um ein Vielfaches härter und unbarmherziger. Das sieht man auch an der Strafe, die Andreas Bichel schlussendlich in der Realität wie im Roman zuteilwird.
Sie sei für die Recherche die alten Wege in ihrer Oberpfälzer Heimat nicht noch einmal abgegangen, gibt Schenkel dem BR gegenüber zu: "Aber ich kenne diese Gegenden alle sehr gut. Geschrieben habe ich das Buch überwiegend in den USA, aber ich bin diese Wege alle früher gegangen und ich kann mich noch sehr gut an sie erinnern."
Andrea Maria Schenkels neuer Kriminalroman "Der Erdspiegel“ (192 Seiten) erscheint bei Kampa und kostet 22 Euro.
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