Frauen mit weißen T-Shirts, auf denen "Rape is a War Crime" zu lesen ist
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Frauenrechtlerinnen demonstrieren gegen Sexuelle Gewalt

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Debatte über sexuelle Gewalt im Ukraine-Krieg: Das sagt die UNO

Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht löste mit Behauptungen über Vergewaltigungen im Ukraine-Krieg eine aufgeregte Debatte aus. Kritiker warfen TV-Moderator Louis Klamroth "Lügen" vor und übten Medienschelte. Was haben UN-Ermittler herausgefunden?

Ein Wortgefecht in der ARD-Sendung "Hart aber Fair" über die kriminellen Begleitumstände von Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine sorgt für jede Menge Tweets und emotionale Debatten im Netz. Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht hatte Vergewaltigungen als "Teil des Krieges" bezeichnet und gesagt: "Kriege sind immer mit Kriegsverbrechen verbunden." Diese Taten würden "von beiden Seiten" begangen, so die Politikerin, und wenn man sie beenden wolle, müsse man den Krieg beenden. TV-Moderator Louis Klamroth hatte entgegnet, es gebe "keine Belege für Vergewaltigungen durch Ukrainer", woraufhin ihm Wagenknecht widersprochen hatte: "Das stimmt so nicht."

Die WDR-Redaktion schob schließlich die Information nach, dass ihr "mittlerweile" ein UN-Bericht vom Juli 2022 vorliege, wonach es sexualisierte Gewalt auch "auf ukrainisch kontrolliertem Gebiet" gebe. Die Korrektur sorgte für empörte Reaktionen von Zuschauern, Klamroth wurde als "Lügner" hingestellt. Tatsächlich heißt es in einem Bericht des UN-Menschenrechtsbeauftragten vom 27. September 2022, für die 43 bisher bestätigten Fälle sexueller Gewalt auf dem Kriegsschauplatz seien "überwiegend" die russischen Truppen verantwortlich.

UN: Zwei Fälle sind ukrainischen Soldaten zuzurechnen

Über Vergewaltigungen werde vergleichsweise wenig berichtet, so die UN-Fachleute, wegen des damit verbundenen "Stigmas", aber auch wegen der Sicherheitslage. "Die auf den Krieg zurückzuführenden Taten wurden in verschiedenen Regionen der Ukraine begangen, einschließlich der Gebiete Kiew und Tschernihiw. Vergewaltigungen gegen Frauen und Mädchen traten hauptsächlich in Wohngebieten auf, die von den russischen Truppen kontrolliert wurden, nahe militärischer Posten, während sexuelle Gewalt gegen Männer typischer Weise Teil von Folter und Missbrauch Gefangener durch russische Soldaten war."

Zwei der dokumentierten und bestätigten Fälle von sexueller Gewalt seien ukrainischen Soldaten zuzurechnen, so die UN. Elf Taten seien durch Zivilisten oder Angehörige von Einheiten der Territorialverteidigung verübt worden, wobei die Nationalität nicht genannt wurde. Russische Truppen seien für neun Fälle von Vergewaltigung und 15 Fälle von sexueller Gewalt im Zusammenhang mit Folter und Übergriffen verantwortlich. In elf Fällen wurden demnach Menschen durch russische Soldaten gezwungen, sich in der Öffentlichkeit zu entkleiden. Im UN-Bericht werden zwei Vorkommnisse, an denen russische Soldaten beteiligt waren, näher beschrieben: Die Gruppenvergewaltigung einer jungen Mutter und Ehefrau und der Missbrauch einer 59-jährigen Witwe.

"Mehrheitlich" russische Armee-Angehörige Täter

In einer Fortschreibung des UN-Berichts vom Dezember 2022 heißt es, seit Kriegsausbruch am 24. Februar 2022 habe der Menschenrechts-Kommissar insgesamt 86 Fälle von sexueller Gewalt dokumentiert. Es war abermals zu lesen, dass diese Missbrauchstaten "mehrheitlich" von russischen Soldaten oder Angehörigen von Sicherheitsdiensten begangen worden seien. In einer ersten UN-Analyse der Kriegsverbrechen vom 29. Juni 2022 war noch von 108 Verdachtsfällen sexueller Gewalt die Rede gewesen, von denen damals ukrainische Soldaten für insgesamt fünf Taten verantwortlich gemacht wurden. Sieben Vergewaltigungen seien von nicht identifizierten Tätern begangen worden, von denen wiederum fünf auf ukrainisch kontrolliertem Gebiet geschehen seien.

"Wir sind keine Europäer"

In russischen Medien ist das Thema sexuelle Gewalt zwar allgegenwärtig, nicht jedoch im Zusammenhang mit dem Krieg, was mutmaßlich auch am traditionellen Frauen- und Familienbild liegt, das der Kreml fördert. Putin hatte mehrmals darauf hingewiesen, dass Russland auch gegen "liberale Werte" aus dem Westen kämpft.

So schrieb die Chefredakteurin des Propagandasenders RT, Margarita Simonjan, kürzlich auf Telegram, bei ihr zuhause drehe sich "alles natürlich um [ihren Ehemann] Tigran, seine Interessen, seine Wünsche". Sie selbst sei für die Küche und die Kinder zuständig und somit die "Herrin des Haushalts". Somit widme sie sich "traditionellen Frauenthemen": "Wir sind keine Europäer, wir stammen beide aus Armenien, wir sind so erzogen worden."

Der russische Menschenrechtsaktivist Alexej Fedjarow hatte nach der Mobilisierung von Rekruten im vergangenen September eine drastische Zunahme der Kriminalität vorhergesagt, einschließlich Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Dieser Trend werde länger als "zwei, drei Jahre" anhalten, so seine Erfahrungen als Ermittler während der beiden Tschetschien-Kriege: "Es ging allmählich abwärts." Das russische Innenministerium veröffentlichte am 1. März eine Bilanz, wonach die Zahl der Vergewaltigungen 2022 um 0,7 Prozent rückläufig gewesen sein soll.

"Oft weiß es die Familie nicht"

Ukrainische Medien meldeten unter Berufung auf den Generalstaatsanwalt 156 Fälle sexueller Gewalt im Kriegsgeschehen, die meisten davon in den Regionen um die Großstädte Cherson und Kiew. Die Nationalität der Täter wurde nicht näher erläutert. Irina Didenko, die Leiterin der zuständigen Ermittlungsabteilung sagte dazu: "Ich kann nur über die Fakten sprechen, bei denen die geschädigte Person zugestimmt hat, ein Strafverfahren zu eröffnen und darüber informiert wurde, was sie erwartet. Oft weiß die Familie nicht, was mit dem Opfer passiert ist, es hat große Angst, dass sie es herausfinden könnten."

Alexandra Matwijschuk vom Zentrum für Bürgerrechte in Kiew hatte der BBC bereits im April vergangenen Jahres gesagt, dass Informationen über Fälle von sexueller Gewalt für den Internationalen Strafgerichtshof gesammelt würden. Allerdings habe der einen "sehr hohen Standard", was Beweise angehe. Außerdem meldete die Ukraine Fälle an die OSZE-Mitgliedsländer.

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