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Professor der Münchner Musikhochschule und Komponist Moritz Eggert

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Sex-Skandal an Musikhochschule: "Schweigen aus Angst"

Siegfried Mauser, ehemaliger Rektor der Musikhochschule in München, steht zum zweiten Mal vor Gericht. Der Vorwurf: Vergewaltigung. Moritz Eggert, Professor für Komposition sagt: Kein Einzelfall, Täter würden vom System gedeckt. Von Christoph Leibold

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Auch an der Münchner Musikhochschule geht die Debatte um ihren ehemaligen Präsidenten Siegfried Mauser weiter, der schon einmal wegen sexueller Nötigung vor Gericht stand - und nun wieder. Diesmal ist der Vorwurf noch drastischer: Unter anderem soll der 63-Jährige eine Bewerberin vergewaltigt haben. Am Mittwoch wird der Prozess am Oberlandesgericht München fortgesetzt. Christoph Leibold hat mit Moritz Eggert, Professor an der Musikhochschule über den Umgang mit den Missbrauchsvorwürfen und die nötige Aufklärung gesprochen.

Christoph Leibold: Wenn es einen Bereich im Kulturbetrieb gibt, in dem Zuschauer noch einen Hort des Wahren, Schönen und Guten vermuten, dann ist es die klassische Musik, wo Künstlerinnen und Künstler oft gesittet in feiner Abendgarderobe auftreten. Aber das ist wahrscheinlich naiv, die E-Musik mit Anstand zu identifizieren, nur weil sie besonders nach Hochkultur ausschaut.

Moritz Eggert: Na ja, wir müssen aufpassen, dass wir bei all diesen Skandalen, die uns alle aufregen, dass wir jetzt nicht den Eindruck gewinnen, dass es sich bei der klassischen Musik um einen Sündenpfuhl handelt. Das ist es natürlich nicht. Ich würde mal sagen …

… es ist nicht wesentlich besser, aber auch nicht schlechter als in anderen Bereichen.

Ja, genau! Es ist eigentlich genau so wie in den anderen: in Firmen, in Universitäten, in der Filmbranche, in der Theaterbranche, im Fernsehen finden solche Sachen statt. Ich glaube, was die klassische Musik da allerdings ein bisschen unterscheidet ist, dass sie eben genau wie Sie es angesprochen haben, ein bisschen den Nimbus des Unschuldigen und auch des sehr, sehr Gutbürgerlichen und Braven und so was hat; und dass dieser Nimbus natürlich zum Teil schlimmere Sachen ermöglicht als es vielleicht an Orten, wo man ohnehin schon erwartet, dass es nicht so ganz koscher zugeht. Und das macht uns zunehmend Sorgen.

Vielleicht ist es auch wirklich so, dass Hochkultur ja zunächst einmal bedeutet, dass es Menschen - meist Männer – gibt, die für sich auch in Anspruch nehmen, sozusagen die 'höheren Weihen' zu haben und deshalb meinen sie, eigene Gesetze schaffen zu können. Also ist dieser Genie-Kult Teil des Problems?

Ja, wenn sich diese Menschen verteidigen, die solche Dinge getan haben, kommt in der Argumentationimmer wieder - auch von ihren Fans - das Argument 'Ja, es handelt sich doch um einen großen Künstler'. So als ob man dann jemandem, der ein großer Künstler ist, alles verzeihen müsste. Man sollte einfach nur mal die Situation ein bisschen umdrehen. Einfach mal sagen: Okay, der hätte jetzt einen Autounfall gebaut oder den Wagen eines dieser Menschen, die ihn verteidigen, angefahren, dann hätten die wahrscheinlich auch nicht gesagt: "Na ja, das ist ein großes Genie, der darf das!". Sondern dann hätten sie einfach den Schadensersatz gerne gehabt … und es geht hier ja um Verbrechen. Ich finde, das muss man auch trennen - ich muss jetzt nicht meine James Levine-CDs verbrennen oder zerstören … weil natürlich ist das ein großartiger Dirigent! - aber für mich sind das einfach zwei vollkommen verschiedene Dinge. Und für die Dinge, die er ansonsten außerhalb der Musik getan hat, muss er sich - wie jeder andere Mensch auch - verantworten.

Für sexuelle Nötigung - deshalb ist er an der Met entlassen worden - James Levine. Wir reden über München, aber das ist ja schon so: Kunst braucht andere Freiheiten. Wie muss man Regeln definieren, die diese Freiheiten nicht beschneiden, und trotzdem den Missbrauch verhindern? Also die Rektorenkonferenz der Musikhochschulen versucht ja, glaube ich, gerade genau das.

Ja, das ist ein ganz heißes Thema. Da ist man auch in anderen Ländern zum Teil schon weiter, weil es dort eben auch schon erste Verurteilungen gab; ich nehme jetzt mal Schweden und England als Beispiele. Ich würde da meine Kollegen mal verteidigen wollen, denn die meisten sind anständig. Nur wenn einer nicht anständig ist, dann wird er von einem ganz erstaunlichen System gedeckt, das unter anderem auch mit dieser Genie-Argumentation 'Ja, denn lassen wir das mal durchgehen; der darf auch bei sich zu Hause aus unterrichten – das ist kein Problem; ach ja, und der zeigt denen Pornos –ja, geht auch und so … Das ist natürlich eigentlich unmöglich. Da, wo an der normalen Universität ein Disziplinarverfahren schon längst geschehen wäre, wird hier einfach gar nichts getan - und das ist eigentlich ein Skandal.

Das mit den 'Studenten-Pornos-zeigen' hat mit einem weiteren Münchner Professor zu tun gegen den sich Vorwürfe richten: Komponist Hans-Jürgen von Bose. Auch da gibt es Vorwürfe der Vergewaltigung, die von Bose aber bestreitet. Und ob es da ein Verfahren geben wird, ist noch offen. Aber man muss ja nicht immer auf die Gerichte warten. Also, was tut denn die Münchner Musikhochschule, um für Aufklärung zu sorgen?

Na ja, als die ersten Mauser-Fälle öffentlich wurden, gab es schon einen Versuch. Es gab eine Sitzung, bei der ich auch dabei war, zu der alle Studenten hingebeten wurden, und es wurde groß verkündet, dass man jetzt etwas dagegen tun würde - und es wurde dann eine Umfrage gemacht, eine anonyme Online-Umfrage, an der man - ohne seinen Namen preiszugeben - teilnehmen konnte. Da wurden auch ganz gezielt Fragen zu sexueller Belästigung gestellt. Und dann wurden diese Ergebnisse nie veröffentlicht. Und ich habe das schon etwas seltsam gefunden; ich habe dann auch in meinem Blog irgendwann mal öffentlich gefragt, was denn jetzt eigentlich wäre mit diesen Ergebnissen. Und daraufhin wurde ich dann in die Hochschule zitiert, und mir wurde mit Kündigung gedroht, wenn ich das nochmal schreiben würde. Ich wurde dann gezwungen tatsächlich, das online zu ändern - in: dass die Studenten jetzt ausreichend über die Frauenbeauftragte(n) informiert seien. Und wenn ich jetzt das im Spiegel lese, wenn das stimmt, dann würde das bedeuten,…

Der Spiegel berichtet in seiner aktuellen Ausgabe über diese ganzen Zusammenhänge …

… Ja, genau. Der Spiegel veröffentlicht ja teilweise eben Ergebnisse aus dieser Umfrage, die ich total schockierend finde. Und wenn das stimmt - und ich gehe mal vom Spiegel aus, dass die nicht so schlecht recherchieren -, dann wäre das wirklich ein Skandal. Dann würde das bedeuten, dass quasi bewusst solche Sachen vertuscht wurden.

Das wäre jetzt auch die Frage: Vertuschen ist das eine, vielleicht auch wegschauen. Also klar, jetzt im Zuge von MeToo kommt vieles ans Licht. Vorher war vielleicht auch eine Scham da; man traute sich nicht das zu sagen. Aber man kann sich gar nicht vorstellen, dass es vorher gar niemand mitbekommen hat. Also hat man auch weggeschaut? Machen Sie sich vielleicht auch selber Vorwürfe, dass man nicht so genau hingeguckt hat?

Ja, um mal so ein Bild zu geben: Ich meine, ich bin ja jetzt nicht nur in München unterwegs als Musiker. Ich könnte an allen Hochschulen in Deutschland solche Vorfälle nennen. Ich kenne solche Geschichten, mit denen wurde unterschiedlich umgegangen. Zum Teil wurden die Leute dann gekündigt oder man hat ihnen die Kündigung nahegelegt. Und so was wurde aber immer unter Ausschluss der Öffentlichkeit gemacht. Bisher ist noch nie jemand strafrechtlich verfolgt worden. Zum Teil sind viele dieser Professoren, die wegen solcher Delikte eine Hochschule verlassen mussten, an einer anderen Hochschule mit einer besseren Stelle untergekommen. Und das weiß man, also das ist bekannt; und es hat sich einfach nie jemand getraut, etwas zu sagen - und das ist auch die Chance der jetzigen MeToo-Debatte – und das halte ich für ganz, ganz wichtig -, weil es wirklich jetzt die Chance gibt, da wirklich was daraufhin zu ändern. Weil vorher war da das Schweigen aus Angst an der Tagesordnung: aus Angst, weil Karrieren tatsächlich von vielen dieser Professoren gemacht, aber eben auch zerstört werden.