Bildrechte: Matthias Baus/Badisches Staatstheater

Ende gut, alles tot?

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Das Pferd kann nichts dafür: "Götterdämmerung" in Karlsruhe

Grane, Wagners mythisches Ross, kaut in Karlsruhe leckere Karotten und muss doch elend sterben: Tobias Kratzer zeigt die "Götterdämmerung" als launige Persiflage und tragikomische Männerfantasie. Zuviel Insider-Satire? Nachtkritik von Peter Jungblut.

Wer Pferde liebt, hat ein Hobby, wer nur Pferde liebt, hat ein Problem. Hagen zum Beispiel, der verklemmte Schlipsträger, der seinen Verwandten immer die Unterschriftenmappen vorlegt und stets alles penibel organisiert. Lieben kann er offensichtlich nur den Gaul Grane, einen echten übrigens, auf der Bühne des Badischen Staatstheaters Karlsruhe. Zärtlich fährt Hagen in die schwarze Mähne des stolzen Tiers und erschrickt dabei über sich selbst: Gefühle nämlich, die darf er nicht zulassen, wenn er sein großes Ziel erreichen will: Die Weltherrschaft, den "Ring des Nibelungen" an sich zu reißen. Und so wird das geliebte Pferd alsbald abgestochen und ausgenommen, nicht das echte natürlich, obwohl auch die Kadaver-Attrappe recht realistisch auf der Plastik-Plane lag.

Siegfried liebt sich notfalls selbst

Was blieb, waren blutigen Hände und traurige Herzen. Regisseur Tobias Kratzer zeigte seine Karlsruher "Götterdämmerung" als Männer-Ding - lauter Kerle, die sich im Weg stehen. Der düstere Pferdeliebhaber Hagen kastriert sich, um noch mehr Zeit für seinen Hass zu haben. Sein Halbbruder Gunther schlurft als Waschlappen herum und macht dem feschen Siegfried schönen Augen, traut sich aber nicht raus aus seiner Veranlagung. Siegfried wiederum, der jugendliche, einfältige Held, weiß zwar nicht so genau, was Liebe eigentlich ist, behilft sich aber einstweilen ganz munter mit Sex, notfalls mit sich selbst. Am Ende sind alle tot, ohne dass ihre Gefühle jemals reifen konnten.

Reichlich viel Gender-Klamauk

Und noch mehr Männer ringen in dieser "Götterdämmerung" mit ihrem Schicksal, nämlich die drei Regisseure der ersten drei Teile des Karlsruher "Rings". Tobias Kratzer lässt seine Vorgänger tatsächlich allesamt als Nornen und Rheintöchter auftreten. Eine Parodie, natürlich, ein Gag für alle, die diese jungen Regisseure und ihre Marotten wieder erkennen. Insiderhumor sozusagen, aber es sollte mehr sein: Tatsächlich mischen sich diese Nornen und Rheintöchter auch dann ins Geschehen ein, wenn sie keinen Text haben, immer auf der Jagd nach dem "Ring", immer bemüht, die Katastrophe der "Götterdämmerung" zu verhindern.

Meerjungfrauen statt Rheintöchter

Das ist mal spaßig, mal herrliche Ironie, manchmal aber auch nur klamottig, etwa, wenn sie flugs blaue Perücken überziehen und als affige Meerjungfrauen über den Boden rutschen statt als poetische Rheintöchter. Reichlich viel Gender-Klamauk: Frauen, die Männer spielen, die Frauen spielen, die Regisseure spielen. Muss keiner verstehen und war letztlich etwas viel Durcheinander. Oder war der gemeinsame Männerausflug der Regisseure zur Inspiration nach Island so aufregend? Kernig posieren sie jedenfalls im Programmheft vor der dortigen nordischen Meeres-Gischt.

Was hat Shakespeare damit zu tun?

Es ist ja Mode geworden, Wagners vierteiligen "Ring" von vier Künstlern inszenieren zu lassen, demnächst angeblich sogar in Bayreuth. Aber dass der vierte Regisseur sich an seinen Kollegen derart abarbeitet, ihre Regiestile persifliert, das ist neu. Ja, alle vier waren in Island, um sich dort anregen zu lassen, alle vier lächelten gestern Abend in der Pause abermals fürs Presse-Foto, aber dieser Gag machte doch nur deutlich: Was der hoch gehandelte Tobias Kratzer zur "Götterdämmerung" zu sagen hat, blieb jenseits seiner Männer-Fantasien völlig offen. Ausstatter Rainer Sellmaier hatte die Bühne radikal frei geräumt: Außer Spiegelwänden war wenig zu sehen. Dass die Kunstbäume, vor denen Siegfried ermordet wird, an den "Wald von Birnam" aus Shakespeares "Macbeth" erinnern sollten, war im Programmheft zu lesen: Erhellend war dieser Querverweis nicht. Schade, hier fügten sich viele Einzelheiten nicht zu einem Ganzen. Stattdessen Verwirrung, die im Publikum zu Unmut führte.

Brünnhilde als Monsterfrau in Reizwäsche

Musikalisch glänzte die Badische Staatskapelle unter Leitung von Justin Brown, dem allerdings anzusehen war, wie hart es ist, diese Riesen-Partitur zu stemmen. Hochkonzentriert war er mit den Noten beschäftigt, für die Sänger blieb da wenig Aufmerksamkeit. Gleichwohl, das klangliche Ergebnis war großartig. So gut geprobte Blechbläser sind selten zu hören. Unter den Solisten meisterte Konstantin Gorny als Hagen seine Rolle stimmlich wie darstellerisch am überzeugendsten. Daniel Frank war ein unterhaltsamer Siegfried, der sich aber gelegentlich in Sprechgesang rettete, Heidi Melton eine Brünnhilde mit arg scharfen Spitzentönen. Darstellerisch hatte sie es am schwersten, musste sie doch über Stunden hinweg als Monsterfrau in Reizwäsche modeln - da wurde sogar Siegfried bang. Insgesamt ein intelligentes, aber leider auch zu verspieltes und unentschlossenes Wagner-Abenteuer.


Wieder am 22. Oktober und 5. November.