Ouvertüre im Treppenhaus. Das kurze Wort "opus" mit seinen gerade mal vier Buchstaben wird hier über viele, viele Os hinweg ausgedehnt – schriftlich als Ausstellungstitel an der Wand und von der Künstlerin Katalin Ladik persönlich performt.
Katalin Ladik kommt vom Text, von der Sprache
In diesem klangvollen Titel spiegeln sich Ursprung und Rahmen ihres Lebenswerks: Katalin Ladik sieht sich in erster Linie als Poetin. Sie kommt vom Text, von der Sprache. Dann begann sie, ihre Gedichte zu rezitieren. Ihr Körper wurde so zum Resonanzkörper, zum Werkzeug und Medium, mit dem sie die Sprache hörbar macht, ihr Volumen und Raum gibt. Denn Klang heißt immer auch Raum, und so wundert es nicht, dass die Künstlerin zum Auftakt des Interviews erst einmal ein paar Töne von sich gibt – um über das Echo den Raum zu erspüren.
Sie sei in einer multikulturellen und vielsprachigen Gegend geboren, erzählt sie. Gleichzeitig war sie Dichterin, arbeitete also mit Sprache. Ihr sei schnell klargeworden, dass Sprache Barrieren hat und dass sie einen Weg finden musste, diese Barrieren und sprachlichen Grenzen auszudehnen.
In der Minderheit: als Ungarin und als Frau in der Kunstszene
Und so schallt und klingt und brummt, wabert und dröhnt es nicht nur kreuz und quer durch die Ausstellungsträume. An den Wänden hängen auch die entsprechenden Partituren zu den Sounds: Collagen aus Notenblättern und Schnittmusterbögen. Sprache existiert für Ladik auch als Bild. So wie man Töne mit Noten ausdrückt, so kann man auch Poesie verbildlichen. Schnittmusterbögen scheinen wie gemacht dafür: das Auf und Ab der Konturen, die übereinanderliegenden Ebenen, die aus unterschiedlichsten Punkt- und Strich-Kombinationen geformten bunten Linien. "Visuelle Gedichte“ nennt Ladik diese Partituren.
Mit Ungarisch als Muttersprache gehörte sie einer sprachlichen Minderheit an, erzählt sie, aber Minderheiten gab es im damaligen Jugoslawien viele. Aber sie war auch noch als Frau eine Minderheit, und ganz besonders als Frau in der Kunstszene, die in den 70er Jahren von Männern dominiert wurde.
Radikal-feministische Ansätze waren ihr fremd
So begann Katalin Ladik neben ihrer Arbeit als Dichterin, Rezitatorin und Sängerin ihren Körper auch in feministischen Performances einzusetzen. Damit entwickelte sie sich zu einer Schlüsselfigur der künstlerischen Avantgarde ihrer Heimat. Radikal-feministische Ansätze waren ihr allerdings fremd, ganz bewusst wollte sie sich davon absetzen und etwas Milderes anbieten.
Installationsansicht: Katalin Ladik. Ooooooooo-pus
Die Fotos der Performance "Painting the Sea" zeigen die Künstlerin nackt, als Badende im Meer. Nach und nach färbt sich das Wasser um sie herum rosa. Das hat etwas Malerisches, Fließendes und Sanftes. Weiblichkeit erscheint hier als Erneuerung und Verbundenheit mit den Elementen. Patriarchale Ideen von Unreinheit oder rein funktionelle Zuschreibungen von Fruchtbarkeit lösen sich mit dem Bad nonchalant einfach so im Wasser auf.
"Die sozialen Probleme kann man nicht durch eine Vagina darstellen"
"Ich hatte das Gefühl, dass die Feministinnen aggressiv waren", sagt sie. Sie stellten die Vagina zur Schau und benutzten sie als Werkzeug, um gegen machistische Strukturen anzukämpfen. Ihrer Meinung nach war aber die Vagina nicht das Problem der Frau. "Natürlich waren – und sind es manchmal noch immer – Frauen Bürger 2. Klasse wegen ihres Geschlechts, aber es gibt viele andere, soziale Probleme, wie gleiche Aufmerksamkeit, gleiche Bezahlung, das kann man nicht durch eine Vagina darstellen."
Diese Haltung brachte Katalin Ladik viel Aufmerksamkeit. Vor allem in den 70ern und 80er kannte man ihren Namen im jugoslawischen Raum, auch außerhalb der Kunstszene. Aus dieser Zeit stammt auch die Foto-Reihe "Pseudo-presence", die während der Proben für eine Musik-Performance zu den Olympischen Spielen 1972 in München entstand. Wegen des Attentats fand die Veranstaltung nicht statt. Die Fotos zeigen die männlichen Musiker-Kollegen während einer Pause im Gespräch. Ladik selbst bewegt sich nackt durch den Proberaum, sie posiert mit Instrumenten, steckt den Arm tief in den Schallbecher eines Saxophons, streicht über eine Wand aus Flöten, sitzt und scheint laut zu schreien. Die Männer aber beachten sie nicht. Nackte Frau neben angezogenen Männern: Das erinnert natürlich an Édouard Manets "Frühstück im Freien". Doch während Manet mit seinem schamlosen Akt auf die bürgerliche Heuchelei in Punkto Sexualität anspielt, zeigt sich Ladik als Frau, die die Männer nicht einmal bemerken – auch nicht als Sexualobjekt. Bis heute eine schöne Utopie.
Archaisch und avantgardistisch zugleich
Die Stärke der Ausstellung ist, dass uns mit Katalin Ladik hier nicht nur eine künstlerische Einzelposition präsentiert wird, die als Keimzelle von Performancekunst weit in die Zukunft weist. Ihr Werk weist zugleich tief zurück in die Anfänge des Menschseins, als Poesie und Sprache durch den menschlichen Körper in die Welt traten. Es ist eine Zeit noch vor der Musik, vor Papier und Partituren. Selten war eine Schau so archaisch und avantgardistisch zugleich.
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