Ehrlich, er muss sein schweißdurchtränktes Hemd wirklich zum Trocknen aufhängen, so athletisch, wie er bis dahin Mambo getanzt hat: Dem gebürtigen Ungar Máté Gyenei wird mit seinem "Astralkörper" ordentlich heiß in seiner Hauptrolle als Johnny Castle, den Frauen im Publikum allerdings auch. Ein lautstarkes Juchzen geht durch die Reihen im Deutschen Theater München, als der Tänzer seinen Sixpack freilegt und mit nacktem Oberkörper die Show-Wendeltreppe abschreitet. Damit die Fantasie gekitzelt wird, darf Gyeneis Partnerin Deike Darrelmann auch ein paarmal über seine feuchte Brustregion streicheln.
Ein paar Lacher sind währenddessen vernehmbar, ein Zeichen dafür, dass weder diese "erotischen" Gesten, noch die Handlung ernst zu nehmen sind. Die Dialoge passen gefühlt sowieso auf zwei Manuskript-Seiten. Aber auf den Text und die Geschichte kommt es hier nicht an, sondern auf die Choreographien und die Musik.
Vom Arzt-Töchterchen zur Dancing Queen
"Dirty Dancing" war schon Trash, als der Film 1987 herauskam, es war allerdings auch ein Riesen-Geschäft, denn die Billigproduktion kostete gerade mal sechs Millionen US-Dollar und spielte sagenhafte 218 Millionen ein. Der Rest ist Legende: Für Jennifer Grey und Patrick Swayze (1952 - 2009) wurde es der große Karriere-Durchbruch. Trivial ist auch die Musicalfassung, wenngleich sie mit ein paar Zeitbezügen zu den frühen sechziger Jahren angereichert ist.
Da ist von John F. Kennedy die Rede, von Vietnam, Rassentrennung und Martin Luther King. Die Bürgerrechtshymne "We shall overcome" darf auch angestimmt werden, und das Thema Abtreibung sorgt für die dramatischen Verwicklungen, freilich nur minutenweise. Sehr viel mehr Zeit nehmen die "Tanzstunden" in Anspruch, denn Frances "Baby" Houseman, gespielt von Deike Darrelmann, reift im lauschigen Ferien-Resort ja in wenigen Tagen vom verklemmten Arzt-Töchterchen zur lateinamerikanischen Dancing Queen.
Männlicher "Appetithappen"
Im Deutschen Theater wird das professionell und temporeich abgespult, und doch erinnert der Abend zunehmend an eine Folge der RTL-Tanzshow "Let's Dance". Die Beine werden munter geschwungen, die Hebefiguren sind teils akrobatisch, aber dass das alles elektrisiert, lässt sich nicht gerade behaupten. Grund dafür: Die Story ist dermaßen dünn, die Darsteller so unterkühlt, dass ihre Figuren kaum jemals Interesse wecken, von den recht braven Choreographien abgesehen. Womöglich hätte das Ganze als reines Latin-Ballett mit ein paar Song-Einlagen noch besser funktioniert.
Ikonische Szene: Latin-Feuer auf dem Tanzparkett
Gleichwohl hat die Kulturgeschichte längst ihr Urteil gesprochen über "Dirty Dancing": Der Stoff ist Kult, und es lohnt sich nicht, daran herumzumäkeln. Wer mag, darf in Erinnerungen schwelgen, Tanz-Enthusiasten dürfen sich Inspirationen holen, die Fans lateinamerikanischer Rhythmen ihre Leidenschaft ebenso feiern wie alle Sixties-Begeisterten. Und wer damit liebäugelt, demnächst zu den "Chippendales" zu gehen, kann sich bei diesem "Appetithappen" schon mal über die Geräuschkulisse informieren, wenn Kerle blank ziehen.
Bis zum 26. März im Deutschen Theater München, danach in Dortmund, Zürich, Düsseldorf und Nürnberg.
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