Auf der Bühne marschiert eine uniformierte israelische Schulklasse im Gleichschritt hinter der Lehrerin, die mehr einem Offizier als einer Pädagogin gleicht. Zwischen Bücherstapeln und Turngeräten instruiert sie ihre Zöglinge: Heute gibt es keinen Unterricht, heute wird nur exerziert; ich frage, ihr antwortet; ich schieße, ihr sterbt. Dazu an der Tafel Sätze wie: Ich liebe mein Vaterland. In der Arabischstunde werden dann Befehle aufgesagt: Zeig deinen Ausweis, Hände hoch. In „KIND OF“, mit dessen Uraufführung am Freitag das FIND Festival an der Berliner Schaubühne begann, reflektiert die israelische Regisseurin Ofira Henig kritisch ihre Schulzeit kurz nach dem Sechstagekrieg.
Ein fünfstündiges Stück
Auch die spanische Theatermacherin Angélica Liddell hat ihre Förderung und ihren Proberaum in Madrid verloren, insgesamt ist die Kultursubvention in Spanien eher niedrig. Liddell zeigt am Eröffnungsabend „Qué haré yo con esta espada?“, „Was werde ich mit diesem Schwert machen?“. Ein fast fünfstündiges Stück, bei dessen Uraufführung in Avignon etliche Zuschauer den Saal verließen. Kein Wunder, denn der zweite Teil ihrer „Trilogie des Unendlichen“ ist hart. Bis zum Unerträglichen krümmen sich junge nackte Mädchen zitternd und ekstatisch stöhnend, spielen mit toten Tintenfischen, deren Tentakeln sie mal genüsslich kauen, um sich anschließend damit zu würgen. Dazwischen die brutalen Monologe der unerwünschten Asozialen, wie sich Liddell selbst nennt. Darin spielt die Theatermacherin mit den grausigsten Fantasien. Lässt Kindermord, Kannibalismus und Terrorismus hochleben und sucht in diesen Akten wider die Natur die reine Schönheit. Sie scherzt, beschimpft und schreit. Und tatsächlich gelingt ihr ein fulminantes Spektakel.
Verstörendes Theater
Thomas Ostermeier, künstlerischer Leiter der Schaubühne, nutzt das FIND Festival, um gerade auch solche verstörenden und abwegigen Möglichkeiten des Theaters zu fördern, die sonst eher schwer umsetzbar sind. Als Regisseur ist Ostermeier selbst mit einem Stück dabei. Seine Adaption des französischen Bestsellers „Rückkehr nach Reims“ von Didier Eribon überzeugt durch Zurückhaltung. Er macht schlicht den Versuch, eine mögliche Antwort zu finden, auf die ewige Frage nach dem: Was tun? - und der Rolle des Theaters dabei. Das FIND Festival, dieses Jahr unter dem Motto „Die Kunst des Vergessens“, hat sich im Grunde dem Gegenteil verschrieben: Es wird hinterfragt und es wird erinnert. Dabei werden häufig die Grenzen des klassischen Theaters überschritten, hin zum Dokumentarfilm, zur persönlichen Erzählung oder zur künstlerischen Performance mit Porno-Charakter. Aber gerade dadurch werden Stücke ermöglicht, die sich nicht einschränken lassen, die ausloten, umwerfen und wirklich aufrütteln. Und so entsteht eine Idee davon, was freies Theater noch immer kann.
Das FIND Festival an der Berliner Schaubühne läuft noch bis zum 22. April. Heute Abend wird das Stück „don’t forget to die“ der Münchner Regisseurin Karen Breece aufgeführt.