Ein Bild aus Kate Beatons Comic-Buch "Ducks" zeigt den Ölsandabbau in Kanada. Die Zeichnerin arbeitete zwei Jahre dort, um mit dem Lohn den Kredit für ihr Studium zu bezahlen.
Bildrechte: Kate Beaton / Zwerchfell / Reprodukt

Brutale Ausbeutung der natürlichen Ressourcen: Szene aus Kate Beatons Comic-Buch "Ducks", über den Ölsand-Abbau in Kanada.

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Raubbau und Archäologie - Comic-Festival München beginnt

Von Donnerstag an ist die Comic-Welt zu Gast in München: Die Kanadierin Kate Beaton stellt eine große Reportage über den Ölsand-Abbau in ihrem Land vor. Und der Italiener Manuele Fior springt von der Jahrtausendwende ins alte Ägypten.

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Vier Tage lang, bis zum Sonntag, dauert das Comic-Festival in der bayerischen Landeshauptstadt. Im Gasteig HP8, aber auch an vielen anderen Orten stellen Künstlerinnen und Künstler ihre gezeichneten Geschichten vor. Viele Gäste kommen aus dem Ausland, darunter Kate Beaton. In ihrem Buch "Ducks" erzählt sie von ihren Erfahrungen während eines zweijährigen Arbeitsaufenthaltes in den Ölsand-Abbau-Gebieten im Westen Kanadas. Der ehemalige amerikanische Präsident Barack Obama hat "Ducks" auf seiner Leseliste empfohlen - eine besondere Auszeichnung.

Eine Welt, für die sich kaum jemand interessiert

Die Tiere, von denen der Titel des Comic-Buches handelt, sind elendig gestorben, verendet im giftigen Schlamm. An die 500 tote Enten lagen in einem Becken im Ölsand-Gebiet, in der kanadischen Provinz Alberta. Das für den Abbau verantwortliche Unternehmen hat – so die Vermutung – die Apparate zur Abschreckung der Zugvögel nicht zum Einsatz gebracht. In ihrem Comic „Ducks“ erzählt Kate Beaton von dieser realen Begebenheit. Sie hat eine Zeitlang im Ölsand-Abbau gearbeitet. Eine junge Frau mitten in einer rauen, kalten, immer wieder auch brutalen Welt. Einer Welt, für die sich kaum jemand interessiert.

"Nachdem ich zurück war, wollten alle nur über die Enten sprechen", erzählt Kate Beaton im Interview mit dem BR. "Das war auch alles, was sie darüber wussten. Darüber gab es die Schlagzeilen. Als ich in den Ölsand-Gebieten gearbeitet habe, sah ich, wie groß dort die menschliche Verwüstung ist. Diese Wissenslücke wurde mir enorm bewusst."

Beindruckende Sozialreportage

Auf über 400 dicht gezeichneten Seiten erzählt Kate Beaton vom Abbau der Ressourcen – auf den Territorien der Indigenen – und den Folgen für die Umwelt. Gleichzeitig ist ihr Comic-Buch „Ducks“, in Grau- und Blautönen gestaltet, ein beeindruckender Bericht über die Menschen, vor allem Männer, die in den Ölsand-Gebieten arbeiten. Wer sind sie, woher kommen sie, was treibt sie um? Kate Beaton stammt aus einer Arbeiterfamilie aus der Region Nova Scotia, im Osten Kanadas, einer Region, in der die Menschen seit Generation aufbrechen, um anderswo Geld zu verdienen. Sie hat sich im Westen verdingt, um mit dem Geld den Kredit für ihr Geschichtsstudium abzubezahlen. Der Comic ist eine große Sozial-Reportage. Und berichtet auch, auf bewegende Weise, von der Erfahrung sexueller Gewalt.

"Es gibt psychische Erkrankungen unter den Arbeitern – insbesondere, aber nicht allein bei den Männern", so Kate Beaton. "Sondern bei jedem, der dort – in der Isolation lebt – und einen verdammt langen Arbeitstag hat. An diesem Ort werden wie Menschen wie Arbeits-Objekte behandelt. Die Umweltzerstörung ist allgegenwärtig. Man atmet sie ein, jeden Tag. Und man reagiert auf all das."

Zwischen Innen- und Außenwelt

Kate Beaton ging 2005 zur Arbeit in die Ölssand-Gebiete. Mit der Arbeit an ihrem Comic begann sie mehr als zehn Jahre später. Sie sagt, sie wollte Abstand gewinnen zu dem, was sie dort erlebte. In ihrem Buch zeigt sie einerseits viele Dialogszenen, ihr Comic-Alter-Ego im Gespräch, etwa mit Arbeitskollegen oder mit einer Angehörigen der Crew, des indigenen Volkes in der Region. Ebenso zeigt Kate Beaton die Industrieanlagen und den Abbau des Ölsandes. Die Bilderzyklen bewegen sich beständig zwischen Innen- und Außenwelt.

"Verglichen mit all dem Stahl, dem Dreck und dem Öl fühlt man sich als Mensch so klein", erzählt Kate Beaton. "Das habe ich auf das Papier gebracht. Der größte Teil des Buches handelt von den Beziehungen der Menschen miteinander. Aber immer wieder zeige ich, wo sie sind - dass sie in dieser gigantischen Bergbau-Landschaft leben. Daran wollte ich erinnern. Die Menschen arbeiten nicht irgendwo in einem Büro. Sie sind in einer mobilen Arbeitseinheit im Abbaugebiet, mitten im Winter.

Tutanchamun und Schlaflosigkeit

Kate Beatons Comic Alter-Ego ist auf der Suche. Das verbindet sie mit der jungen Frau, von der der italienische Zeichner Manuele Fior in seinem neuen Buch „Hypericum“ erzählt. Teresa kommt in den 90er Jahren aus Italien nach Berlin, sie hat sich auf eine wissenschaftliche Hilfskraftstelle zur Vorbereitung einer großen Tutanchamun-Ausstellung beworben – und verliert sich in der Zeit. Zudem kann sie nicht schlafen, hat beständig große Augenringe. Irgendwann nimmt sie Johanniskraut – eben: Hypericum.

"Teresa will gerne perfekt sein", erzählt Manuele Fior im BR-Interview. "Sie ist es aber nicht. Sie will die beste Studentin sein, immer an der Spitze. Aber man sieht: Sie vermisst etwas. Das wird deutlich, als sie in Berlin Ruben begegnet. Vielleicht steht er für alles, was sie selbst vermisst. Sie weiß das nicht."

Ein philosophischer Comic-Erzähler

Manuele Fior, aus Italien stammend, arbeitet mit zarten Farben. Gleichzeitig gibt er seinen Comic-Geschichten eine philosophische Dimension – in „Hypericum“ ist das das Nachdenken über die Zeit, über Vergangenheit und Zukunft. Teresas Geschichte – darunter ihre Liebesbeziehung mit dem Möchtegern-Punk Ruben – wird verbunden mit der von Howard Carter, mit der Entdeckung des Grabes von Tutanchmanun im November 1922. Manuele Fior bewegt sich beständig zwischen den Zeitebenen.

"Howard Carter beschreibt, wie er das Grab geöffnet hat", schwärmt Mauele Fior. "Er tut das so detailliert, dass die 3000 Jahre wie zu einem Augenblick zusammenschrumpfen. Und auch die Definition der Zeit im alten Ägypten hat mich sehr begeistert. Die Menschen dachten, die Zukunft liege hinter ihnen – und die Vergangenheit vor ihnen. Das genaue Gegenteil von unserer Auffassung. Und sehr viel rationaler."

Rückblick auf ein nicht mehr gegenwärtiges Berlin

Manuele Fior erzählt in diesem Buch in verschiedener Hinsicht autobiographisch. Wie Teresa, seine Comic-Hauptfigur, kam er Ende der 90er Jahre nach Berlin, um dort an der archäologischen Fakultät der Technischen Universität zu arbeiten. Und wie Teresa litt auch er eine Zeitlang an Schlaflosigkeit. Die Figuren Teresa und Ruben seien ihm dann aber im Schlaf, in einem Traum, in den Sinn gekommen. Sie haben ihn gewissermaßen angestiftet, ein Berlin in den Blick zu nehmen, das es heute nicht mehr gibt. Der Potsdamer Platz zum Beispiel ist im Comic noch eine Großbaustelle. Und an vielen Orten der Stadt finden sich noch Reste der Berliner Mauer. Für den Zeichner liegt die Stadt der 90er Jahre heute gedanklich weiter entfernt als das Berlin der 1920er.

"Ich bin aus einer Kleinstadt dorthin gekommen", erinnert sich Manuele Fior. "Als ich dann in Berlin war hatte ich das Gefühl, ich entdecke etwas, was wir völlig neu ist. Dazu gehört auch der Blick in die Welt des Ostens. Auf der anderen Seite war Berlin noch nicht wieder Hauptstadt. Berlin befand sich in einer Art Dämmerzustand. Die Stadt suchte noch nach einer Identität. Es gab jede Menge illegale Dinge. Viele Leute, die nicht wussten, was sie in ihrem Leben machen sollten, sind nach Berlin gekommen. Die jungen Menschen, die heute in der Stadt sind, wissen gar nicht mehr, wie es dort in den 90ern ausgesehen hat."

Comics als Archäologie der Zeit

Manuele Fiors Comic "Hypericum" erzählt von der Archäologie. Und ist gleichzeitig selbst ein Stück Archäologie: eine behutsame Freilegung verborgener Zeitschichten. Das wiederum gilt für viele Comics, unbedingt auch für Kate Beatons "Ducks". In ihren Bildern und Texten entfaltet sich eine intensive Geschichte. Sie handelt von der Unerbittlichkeit unseres Wirtschaftssystems. Und von einer jungen Frau, die sich damit nicht abfinden will. Die Comic-Künstlerin aus Kanada sagt, sie wünscht sich weitere Geschichten aus der Arbeitswelt, gerade in der Perspektive derer, die sich dort verdingen müssen. "Ich hoffe sehr, dass die Anerkennung, die mein Comic erhält, dazu beitragen kann." Und sie hat recht. Wir brauchen diese Erzählungen.

Der Comic "Ducks“"von Kate Beaton ist gerade bei den Verlagen Zwerchfell und Reprodukt erschienen, in der Übersetzung von Jan Dinter.

Manuele Fiors Comic "Hypericum" ist im Avant-Verlag erschienen, in der Übersetzung von Myriam Alforno. Kate Beaton und Manuele Fior sind in den kommenden Tagen zu Gast in München.

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