Der Musiker 2016 bei einem Auftritt in Köln
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Archivbild: Der Musiker 2016 bei einem Auftritt in Köln

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"Chaos im Gleichgewicht": Rockgitarrist Jeff Beck gestorben

Nach einer spektakulären Tour mit Hollywoodstar Johnny Depp infizierte sich der Musiker mit einer bakteriellen Hirnhautentzündung. Jetzt ist der achtfache Grammy-Gewinner, der als einer der besten Gitarristen der Welt galt, mit 78 Jahren gestorben.

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"Ich bin halt keine Musikfabrik. Ich kann nur etwas raushauen, wenn ich auch etwas fühle", erklärte Jeff Beck seinen Fans die mitunter längeren Schaffenspausen. Der Rummel war riesengroß, als er sich mit Johnny Depp zusammentat und vor einigen Wochen eine transatlantische Tour mit dem neuen gemeinsamen Album "18" absolvierte, auf dem neben zwei Original-Songs Cover-Versionen von The Beach Boys, Marvin Gaye, The Velvet Underground, The Everly Brothers, The Miracles, Killing Joke and Janis Ian zu hören waren.

Die beiden waren schwer umlagert von den Medien und den Fans, niemand ahnte, dass der 78-jährige Beck sich kurz darauf eine bakterielle Meningitis einfing. Sie sollte für ihn tödlich sein, wie seine Familie in den sozialen Medien mitteilte. Am 10. Januar ist er gestorben, die Angehörigen baten die Öffentlichkeit darum, ihre Privatsphäre zu achten.

Auf Twitter wurde Beck als "Gitarren-Gott" und "Pionier" gerühmt, viele Fans urteilten, er könne niemals ersetzt werden. Ozzy Osbourne schrieb, es sei ihm "eine gewaltige Ehre" gewesen, mit Beck zusammengearbeitet zu haben. Andere zeigten sich tief bewegt, weil sie den letzten Auftritt von Beck und Johnny Depp in Reno/Nevada miterlebt hatten und erinnerten sich wehmütig an das ansteckende Lächeln des Gitarristen.

"Er war einer der Unvorhersehbarsten"

Das Fachblatt "Rolling Stone" titelte im Nachruf, Beck sei ein "stiller Gitarren-Virtuose" gewesen, was sich wohl auch darauf bezog, dass der Künstler wenig ganz große Hits hatte. Gleichwohl wird er zur Handvoll der besten Rockgitarristen der Welt gezählt. Bei "Variety" heißt es, der Musiker sei einer der innovativsten seiner Zunft gewesen, auf jeden Fall jedoch einer der unvorhersehbarsten. So brillierte Jeff Beck mit Rock, Jazz, Elektro und Fusion, war im Psychedelic- und Progressive-Fach zu Hause. Seine beiden größten Erfolge dürften in den Siebzigern die Instrumentals "Blow by Blow" und "Wired" gewesen sein, die seinen Wandel vom R&B-Künstler in den Fusion Jazz dokumentierten.

"Frische ist mir wichtiger"

Sieben Grammys erspielte er sich mit seiner Fender-Stratocaster, einen achten bekam er für ein gemeinsames Projekt mit Herbie Hancock. In seinen späteren Jahren scheint Beck bei der Auswahl seiner Instrumente nicht mehr sehr wählerisch gewesen zu sein, jedenfalls sagte er in einem Interview 2016: "Ich schnappe mir, was gerade da steht. Es ist mir heute nicht mehr so wichtig, um ehrlich zu sein. Der Aspekt der Spontaneität und Frische ist mir viel wichtiger. Ich will eine neue Idee schnell in den Kasten kriegen, darum geht es mir. Ich hätte bestimmt öfters einen besseren Sound hinkriegen können, wenn ich manche Tracks noch einmal eingespielt hätte." Auch das spricht für seine unermüdliche Suche nach "neuen Sounds".

Als Nachfolger von Eric Clapton bei den "Yardbirds" brachte Jeff Beck 1965 eine ganz neue "Blues-Feuerkraft" mit, so Kenner. Dass Clapton, der nach seinem Weggang eigentlich mit dem Ende der Band gerechnet hatte, da etwas neidisch wurde, ist mehr als verständlich. Ein weniger voreingenommener Mann wie "Aerosmith"-Lead Joe Perry nannte seinen Kollegen Beck den besten überhaupt, das gebe es nur "alle ein oder zwei Generationen". Dafür gab es für Beck zwei Plätze in der Ruhmeshalle des Rock'n'Roll, das erste Mal 1992 mit den "Yardbirds", 2009 dann als Solist.

"Ich mag ein chaotisches Element"

Die Vielseitigkeit des 1944 in London geborenen Beck ist daran zu ermessen, dass er mit so unterschiedlichen Künstlern wie Operntenor Luciano Pavarotti, Stones-Frontmann Mick Jagger, Stevie Wonder, Joss Stone, Tina Turner und Cyndi Lauper auftrat. Mit Rod Stewart nahm er die Platten "Truth" (1968) und "Beck-Ola" (1969) auf. "Ich mag ein chaotisches Element in der Musik", sagte Beck einmal: "Dieses Gefühl ist das Beste überhaupt, solange man nicht zu viel davon hat. Es muss im Gleichgewicht bleiben." Vorbild sei für ihn das scheinbare Durcheinander der Varieté-Show Cirque du Soleil: "Wenn ich das in Musik verwandeln könnte, wäre es nicht weit von meinem ultimativen Ziel entfernt, nämlich Menschen mit Chaos und Schönheit zugleich zu erfreuen."

Sein Vater war Buchhalter, seine Mutter arbeitete in einer Süßwarenfabrik. Als Junge soll er sein erstes Instrument aus einer Zigarrenkiste, einem Bilderrahmen und den Saiten eines ferngesteuerten Spielzeugflugzeugs zusammengebastelt haben. Zu seinen Idolen sollen der Leadgitarrist von Gene Vincent, Cliff Gallup, und die amerikanischen Bluesmusiker Buddy Guy und Otis Rush gehört haben. Über Jimi Hendrix sagte Beck: "In Sachen Temperament stand ich ihm zwar in Nichts nach, aber er bot eindeutig das bessere Paket: Seine Kombination aus Performance und Weltklasse-Songs konnte ich nicht toppen."

Am Beginn seiner Laufbahn wurde Jeff Beck nach eigenen Angaben übrigens zu seiner eigenen Verwunderung von Fans belagert: "Anfang der Sechziger bin ich oft mit Mick Jagger verwechselt worden. Ständig kreischten irgendwelche Mädchen, wenn ich in einem Club auftauchte oder nur die Straße entlang lief."

Er traute sich sogar an Puccini

Gemeinsam mit Superstar-Kollege Jimmy Page (später bei "Led Zeppelin") hielt es Beck nur kurze Zeit bei den "Yardbirds" aus, aber in dieser Phase steuerten sie zum Beispiel zum unvergessenen Michelangelo Antonioni-Film "Blow Up" über das Swinging London von 1966 den Titel "Stroll On" bei. Seine erste Hitsingle war 1967 das Instrumental "Beck´s Bolero". Die Jeff Beck Group – mit Rod Stewart als Sänger – wurde für das berühmte Woodstock-Musikfestival 1969 gebucht, aber ihr Auftritt wurde abgesagt. Beck sagte später, es habe damals Zoff in der Band gegeben.

Wie "Variety" berichtet, lehnte der Musiker einst eine Einladung der "Rolling Stones" ab, Brian Jones zu ersetzen. Von 1973 bis 1975 war der als schwieriger Band-Kollege geltende Beck mit "Beck, Bogert & Appice" unterwegs. In den Achtzigern setzte er seine Karriere mehrere Jahre aus, weil er unter Tinnitus litt. Später wurden die Pausen zwischen Tour-Terminen und neuen Alben immer länger, wenngleich er mit so illustren Stars wie Beach-Boys-Gründer Brian Wilson auftrat und sich sogar an Giacomo Puccinis Arie "Nessun Dorma" in einer Gitarrenversion herantraute.

Für den Musikmarkt ein Albtraum

Seine musikalische Zusammenarbeit mit Depp begann 2020 mit einer Coverversion von John Lennons "Isolation", die damals kurz nach Beginn der Coronavirus-Pandemie veröffentlicht wurde: "Wir hatten nicht damit gerechnet, den Titel sobald auf den Markt zu bringen, aber angesichts all der harten Tage und der wahren ‚Isolation‘, die die Menschen in diesen herausfordernden Zeiten durchmachen, haben wir entschieden, dass es der richtige Zeitpunkt ist, es euch alle hören zu lassen", so Beck damals in einem Statement.

An die Erfolge von seinem einstigen Konkurrenten und späteren Freund Eric Clapton ("Heute ist er ein völlig anderer Mensch als damals") konnte Jeff Beck nie anknüpfen, er blieb ein Perfektionist, der vor allem die Kritik begeisterte und Kenner zu Begeisterungsstürmen hinriss. Für den Musikmarkt war der Gitarrist eher ein Albtraum, ignorierte er doch alle Genre-Grenzen und ließ sich niemals festlegen auf ein "Image".